Sie haben mich verkauft
das einzige Geräusch auf der Welt anhörte. Ich fühlte mich mehr und mehr ausgelaugt, in eine Welt eingesperrt, in der es nur das Baby und mich gab, während ich ihn fütterte, ihm die Windeln wechselte und versuchte, ihn zu beruhigen. Sergej schien mit seinem neugeborenen Sohn recht zufrieden, aberer konnte sich um ihn nicht so kümmern wie ich – schließlich konnte er ihn nicht stillen –, und manchmal wurde er wütend in der Nacht, wenn das Babygeschrei ihn weckte.
Bald verbrachte er mehr und mehr Zeit mit seinen Freunden. Ich war jetzt tagsüber allein, wenn Papa und er zur Arbeit gingen, und auch abends war ich ohne meinen Ehemann. Die Wochen dehnten sich zu Monaten, und ich wurde allmählich schrecklich einsam.
»Wieso kommst du denn nicht zu uns nach Hause?«, fragte ich ihn, wenn er endlich wieder da war. »Dein Sohn braucht dich – ich brauche dich.«
»Weil ich mich von dem Babygeschrei erholen will«, antwortete er dann immer. »Das ist doch deine Aufgabe, dich um ihn zu kümmern, nicht meine.« In seinen Augen lag eine Härte, die ich vorher nicht bemerkt hatte, und das machte mir Angst.
Bald konnte ich weder schlafen noch essen, und ich nahm stark ab. Innerhalb von sechs Monaten verlor ich fast sieben Kilo – meine Wangen waren eingefallen, ich hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ich war die ganze Zeit müde. Ich hatte fast schon Angst einzuschlafen; womöglich würde ich nicht aufwachen, wenn das Baby mich brauchte. Ich fühlte mich, als würde ich in einen Strudel gesogen, und ich konnte nichts dagegen tun.
Mich an meine Mutter zu wenden war zwecklos – sie interessierte sich weder für mich noch für ihren Enkel, ihre Zeit verbrachte sie Alkohol trinkend mit ihren Freunden. Papa war der Einzige, der alles tat, um mir beizustehen – früh morgens ging er mir Milch kaufen, und er kam zeitig von der Arbeit, um mir abends zur Hand zu gehen. Ich verzieh ihm alles, was in der Vergangenheit vorgefallen war, und nahm seine Liebe und seine Unterstützung dankbar an, wo ich beides jetzt so nötig hatte.
Doch wie groß die Probleme auch sein mochten, es gab Momente, in denen Sascha mir zeigte, dass es all die Mühe wert war – ein Lächeln, ein Lachen erwärmten mein Herz, und ich wusste, dass ich ihn immer lieben würde, was auch passierte.
Sascha war etwa drei Monate alt, als mein Vater vorschlug, wir sollten Sergej von der Arbeit abholen. Das hörte sich für mich nach einer guten Idee an; ich hatte seine Fabrik noch nie gesehen und war neugierig. Als wir ankamen, ließ ich Papa mit Sascha draußen und ging mich erkundigen, wann Sergej Feierabend hatte.
»So jemanden haben wir hier nicht«, erklärte der Mann am Empfang unverblümt.
»Doch, ganz sicher. Sie müssen sich irren«, sagte ich lächelnd.
Aber dann wurde ich in ein Büro gebracht, wo ein Aufseher umgeben von Akten saß, und der sagte mir dasselbe. »Tut mir leid, Frau Kalemi, aber den Namen Ihres Mannes finde ich nirgends«, erklärte er, nachdem er die Papiere durchgesehen hatte. »Er ist nirgends als Angestellter aufgeführt.«
»Aber er muss hier sein«, entgegnete ich. »Seit acht Monaten arbeitet mein Mann hier, sechs Tage die Woche.«
Der Mann zog einen weiteren Stapel Papiere von einem Regal. »Ah ja«, sagte er schließlich. »Ein Sergej Kalemi hat sich tatsächlich vergangenen Oktober hier beworben.«
»Ja, das ist er.« Ich war erleichtert.
»Aber er ist nie zur Arbeit erschienen, tut mir leid.«
Ich starrte den Mann an. Ich verstand einfach nicht, was er mir da sagte. »Sie müssen sich irren. Er arbeitet hier seit mehreren Monaten.«
»Nein, ich irre mich nicht. Vergangenen Oktober hat sich Ihr Mann hier um eine Stelle beworben, sie auch bekommen, aber angetreten hat er sie nicht.«
Mein Herz raste. Wie konnte es sein, dass Sergej nicht hier arbeitete? Seit Saschas Geburt war er jeden Tag zehn Stunden außer Haus. Vielleicht hatte er eine Stelle in einer anderen Fabrik und hatte es mir nicht gesagt. Es musste eine Erklärung geben.
Ich ging raus zu meinem Vater.
»Na, wo ist er denn nun?«, fragte Papa, als ich Sascha auf den Arm nahm. »Hat er noch nicht Schluss?«
»Nein.«
»Wann kommt er denn raus?«
Ich drückte das Baby an mich und starrte geradeaus. »Er kommt nicht«, sagte ich langsam.
»Was soll das heißen?«
»Die sagen, er arbeitet gar nicht hier.«
Einen Augenblick schwieg Papa, dann stieg ihm die Röte ins Gesicht. »Was?«, fragte er leise.
Plötzlich bekam ich Angst, als sich
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