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Titel: Sie
Autoren: Henry Rider Haggard
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unserer Schritte, der tiefen Stille und der stickigen Luft erkannten wir, daß es eine Höhle war. Viele Minuten lang schritten wir in ehrfurchtsvollem Schweigen weiter wie verlorene Seelen im Hades, vor uns Ayeshas weiße, geisterhaft schwebende Gestalt, bis wiederum die Höhle in einem Gang endete, der in eine zweite, viel kleinere Höhle führte. Deutlich konnten wir ihre gewölbte Decke und die Wände erkennen, und aus ihrem zerklüfteten Aussehen schlossen wir, daß sie gleich dem Gang, der uns durch das Innere des Felsens zu dem zitternden Felssporn geführt, durch eine ungeheure Gasexplosion entstanden war. Diese Höhle endete schließlich in einem dritten Gang, durch den ein schwacher Lichtschimmer drang.
    Ich hörte, wie Ayesha erleichtert seufzte, als sie dieses Licht erblickte.
    »Macht euch bereit«, sprach sie, »den tiefsten Schoß der Erde zu betreten, in dem sie das Leben empfängt, das Mensch und Tier erfüllt – ja jeden Baum und jede Blume. Seid bereit, o Männer, denn hier sollt ihr neu geboren werden!«
    Flink eilte sie voran, und voll Furcht und Neugier stolperten wir ihr nach, so gut es ging. Was für ein Anblick würde sich uns bieten? Während wir den Gang hinabliefen, wurde der Lichtschein immer heller, und seine grellen Büschel trafen uns wie die Strahlen eines Leuchtturms, die einer nach dem andern über dunkle Meeresweiten huschten. Doch dies war nicht alles, denn mit den Strahlen drang uns ein markerschütterndes Getöse entgegen, das wie das Donnern und Krachen vom Blick gefällter Bäume klang. Nun waren wir am Ende des Ganges und – o Himmel!
    Wir standen in einer dritten Höhle, etwa fünfzig Fuß lang und hoch und dreißig Fuß breit. Ihr Boden war mit feinem weißen Sand bedeckt und ihre Wände durch irgendeinen mir unbekannten Prozeß seltsam geglättet. Die Höhle war nicht finster wie die anderen, sondern vom milden Schein eines rosigen Lichts erfüllt, schöner als alles, was ich je gesehen hatte. Wir sahen zuerst jedoch keine Strahlen und hörten das donnernde Geräusch nicht mehr. Plötzlich aber, als wir so dastanden, voll Staunen das wunderbare Bild betrachteten und uns fragten, woher dieser riesige Lichtschein wohl kam, geschah etwas Schreckliches und zugleich unsagbar Schönes. Vom anderen Ende der Höhle kam ein lautes Zischen und Krachen, welches so unheimlich und furchteinflößend war, daß wir alle erschauderten und Job sogar auf die Knie sank, und eine mächtige Wolke oder Säule aus Feuer, vielfarbig wie ein Regenbogen und grell wie ein Blitz, flammte auf. Vielleicht vierzig Sekunden lang schoß sie lodernd und donnernd und langsam sich im Kreise drehend empor, dann wurde der fürchterliche Lärm allmählich leiser und verstummte, während das Feuer verlosch, und zurück blieb nur der rosige Lichtschein, den wir anfangs gesehen hatten.
    »Tretet näher, tretet näher!« rief Ayesha in jubelndem Ton. »Sehet den Quell, das Herz des Lebens, wie es pocht im Busen der großen Welt. Sehet den Stoff, aus dem alle Dinge ihre Kraft ziehen, den strahlenden Geist der Welt, ohne den sie nicht leben kann, sondern erkalten und sterben muß wie der tote Mond. Tretet näher und badet in den lebenden Flammen und laßt ihre Kraft in all ihrer jungfräulichen Stärke in eure armseligen Körper strömen – nicht wie sie jetzt schwach in euren Busen glüht, gefiltert durch die feinen Siebe Tausender dazwischen befindlicher Leben, sondern so, wie sie hier ist im Quell und Sitz allen irdischen Seins.«
    Wir folgten ihr durch den rosigen Lichtschein zum Ende der Höhle, bis wir schließlich an der Stelle standen, wo der mächtige Puls schlug und die große Flamme entsprang. Und während wir uns ihr näherten, erfüllte uns eine wilde, köstliche Empfindung, ein herrliches Gefühl solch ungestümer Lebenskraft, daß unsere bisherige Stärke uns matt und lahm und schwach erschien. Es war das bloße Fluidum der Flamme, der hauchfeine Äther, den sie zurückgelassen hatte, der auf uns wirkte und uns das Gefühl verlieh, wir seien stark wie Riesen und flink wie Adler.
    Als wir das andere Ende der Höhle erreichten, blickten wir einander in dem herrlichen Lichtschein an und brachen in unserer Leichtherzigkeit und göttlichen Berauschtheit in lautes Lachen aus – selbst Job, der seit einer Woche nicht ein einziges Mal gelacht hatte. Mir war, als seien alle genialen Kräfte, deren der menschliche Geist fähig ist, in mir aufgeblüht. Ich hätte Verse von Skakespearescher Schönheit sprechen
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