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Titel: Sie
Autoren: Henry Rider Haggard
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Angstschweiß bedeckt, nebeneinander.
    Gleich darauf erlosch, wie beim erstenmal, plötzlich das Licht.
    Etwa eine halbe Stunde lagen wir so, ohne ein Wort zu sprechen; dann krochen wir, so gut es in dem tiefen Dunkel ging, über den großen Sporn. Als wir uns der Felswand näherten, wurde es jedoch etwas heller, wenngleich nur ein wenig, denn über uns war Nacht. Gleich darauf ließ auch der Sturm nach, und wir kamen wesentlich besser voran und erreichten endlich den Eingang des ersten Tunnels. Doch nun ergab sich eine neue Schwierigkeit: unser Öl war aufgebraucht, und unsere Lampen hatte zweifellos der herabstürzende Stein zu Staub zerschmettert. Überdies hatten wir nicht einen Tropfen Wasser, unseren Durst zu stillen, denn den letzten Rest hatten wir in Noots Höhle getrunken. Wie sollten wir durch diesen von Felsblöcken übersäten Tunnel hindurchkommen?
    Uns blieb nichts anderes übrig, als unserem Gefühl zu vertrauen und zu versuchen, im Dunkel hindurchzufinden, und so krochen wir ohne Zögern hinein, denn wir fürchteten, daß bei längerem Warten unsere Erschöpfung uns überwältigen könnte, so daß wir auf der Stelle zusammenbrechen und sterben würden.
    Oh, über die Schrecknisse dieses letzten Tunnels! Der Boden war mit Felsbrocken übersät. Immer wieder stürzten wir über sie oder stießen uns daran, bis wir aus Dutzenden von Wunden bluteten. Wir konnten uns nur nach der Wand der Höhle richten, an der entlang wir uns tasteten, und schließlich verwirrte uns die Dunkelheit so sehr, daß uns einige Male der schreckliche Gedanke kam, wir seien umgekehrt und gingen in die falsche Richtung. So taumelten wir Stunde um Stunde, immer schwächer werdend, dahin und hielten alle paar Minuten an, um zu rasten, denn unsere Kraft war nahezu erschöpft. Einmal schliefen wir ein, und ich vermute, daß wir einige Stunden geschlafen haben, denn als wir erwachten, waren unsere Glieder ganz steif, das Blut aus unseren Wunden getrocknet, und harte Krusten bedeckten unsere Haut. Wieder schleppten wir uns weiter, bis wir endlich, als schon tiefste Verzweiflung uns erfüllte, wieder Tageslicht erblickten und bald darauf die Felsfurche außerhalb des Tunnels erreichten, welche, wie man sich erinnert, an der Außenwand des Felsens zu dem Tunnel führte.
    Es war früher Morgen – wir merkten es an der herrlich süßen Luft und an der Farbe des gesegneten Himmels, den jemals wieder zu erblicken wir schon nicht mehr gehofft hatten. Da wir den grauenhaften Tunnel etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang betraten, hatten wir also die ganze Nacht gebraucht, ihn zu durchkriechen.
    »Noch eine letzte Anstrengung, Leo«, keuchte ich, »dann sind wir an dem Abhang, wo Billali wartet, falls er nicht längst gegangen ist. Komm, verzage nicht«, denn er hatte sich der Länge nach zu Boden geworfen. Er erhob sich und, ans aufeinanderstützend, stiegen wir die letzten fünfzig Fuß des Felsens hinab – ich habe keine Ahnung, wie. Ich weiß nur noch, daß wir unten zusammenbrachen und aufeinanderliegend wieder zu uns kamen, und dann schleppten wir uns auf Händen und Knien wiederum weiter, dem Hain entgegen, wo auf ihre Rückkehr zu warten ›Sie‹ Billali geboten hatte. Wir hatten auf diese Weise noch keine fünfzig Meter zurückgelegt, als plötzlich hinter einigen Bäumen zu unserer Linken, zwischen denen er vermutlich einen Morgenspaziergang machte, einer der Stummen hervortrat und auf uns zueilte, um zu sehen, was für seltsame Tiere wir wohl waren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er uns an, dann streckte er entsetzt die Hände in die Höhe und stürzte fast zu Boden. Im nächsten Augenblick rannte er, so schnell er konnte, dem etwa zweihundert Meter entfernten Hain zu. Kein Wunder, daß unser Anblick ihn entsetzte, denn wir müssen wahrhaft schrecklich ausgesehen haben. Leos goldene Locken waren schneeweiß geworden, seine Kleider hingen in Fetzen von seinem Körper, sein Gesicht und seine Hände waren eine einzige Masse von Beulen, Rissen, verkrustetem Blut und Schmutz, und ich selbst sah sicherlich nicht viel besser aus. Als ich zwei Tage später in einem Gewässer mein Spiegelbild sah, hätte ich mich beinahe nicht erkannt. Ich bin nie sehr schön gewesen, doch außer Häßlichkeit war meinen Zügen noch etwas anderes eingeprägt, das ich bis zum heutigen Tage nicht verloren habe – etwas, das dem bestürzten Blick ähnelt, mit dem ein Mensch erschrocken aus tiefem Schlaf auffährt. Und das ist wirklich nicht
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