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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond
Autoren: Stefan Gemmel
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Umschlägen.
    Doch nichts geschah.
    »Es muss!«, keuchte Tabitha, den Tränen nahe. »Werdet wach. Bitte! Rouven braucht euch. Ihr sorgt füreinander. Ihr schützt euch gegenseitig. Eure Gefühle für Rouven müssen euch erwecken.« Siesprach aus, wovon sie überzeugt war, seit sie diesen Einfall in der Kapelle gehabt hatte. Doch mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie einen Fehler machte: Die Menschen konnten sie nicht hören.
    Wieder eilte sie zu Stift und Block und schrieb darauf: »Sprechen Sie es aus!«
    Mayers nahm den Block in seine Hände, der wie schwebend auf ihn zukam. Er las den Satz und nickte. Dann baute er sich auf und sagte: »Rouven!«
    Es brauchte einen kurzen Moment, dann nahmen Tabitha, Mayers und Tallwitz erste Regungen wahr. Die Hände auf den Büchern begannen zu zucken. Auch die Augenlider regten sich. In die Gesichter kehrte das Leben zurück. Nach und nach atmeten die Seelenschützer tief ein, und schließlich schlugen die ersten ihre Augen auf.
    Tabitha schrie begeistert auf. Sie rannte zu ihren Eltern, die ebenfalls gerade erwachten. Sie küsste und umarmte sie, und es schmerzte zu wissen, dass die beiden von alledem nichts verspürten.
    Sie gönnte diesen wunderbaren Menschen noch einige Momente, um zu Kräften zu kommen, dann rannte sie erneut zu ihrem Schreibblock. Es war an der Zeit, Rouven beizustehen.

R ouven stand bewegungslos in der Mitte der Kapelle. Jachaels Worte hatten ihn wie zu Eis erstarren lassen. Er führte einen aussichtslosen Kampf. Jachael hatte ihn überlistet. Alle Geschwindigkeit und alle Intelligenz konnten Rouven nichts mehr nützen. Es sei denn, er war zu sterben bereit. Dann würde er gemeinsam mit Jachael untergehen. Jachaels Tod bedeutete Rouvens Tod. Und Rouven sah keinen Ausweg aus dieser Situation.
    Jachael stand in seiner Gestalt als halb Mensch, halb Stier Rouven gegenüber. Sein Grinsen breit im Gesicht, die Zunge schnalzend.
    »Oh, ich hätte das vorher erwähnen sollen, oder?« Er triumphierte über Rouven. Er spottete über ihn.
    Und er hatte allen Grund dazu.
    Dann deutete er mit dem Kopf in Richtung der Burgruine. »Ich hoffe, dir ist der kleine Rums von vorhin nicht entgangen«, sagte er. »Du hast meine Warnung ja nicht ernst genommen. Du wolltest es ja so haben. Mit deinem Angriff vorhin hast du deine Seelenschützer begraben. Unter der Ruine. In dem Stollen   – oder besser in dem, was jetzt noch davon übrig ist.«
    Nun war es an Rouven zu lächeln. Was immer in dieser Nacht auch geschehen sollte, diesen einen Sieg hatte er errungen. Er war sicher, dass Tabitha vor drei Tagen seine Botschaft richtig verstanden hatte.
    »Du solltest mal nachschauen gehen«, sagte er, allerdings ohne jeden Stolz in der Stimme. Es war ihm nicht nach glorreichen Gefühlen. All dies hier hatte eine Wendung genommen, die in Rouven keinerlei Freude aufkommen ließ. Nicht einmal jetzt.
    Jachael drehte den Kopf zur Seite. »Ich verstehe nicht.«
    »Tabitha wusste Bescheid. Ich habe ihr vor drei Tagen, als du mich in den Händen gehalten hast, eine Nachricht geschickt. Sie hat die Polizei längst zum Stollen geschickt. Hättest du die drei Tage und Nächte nicht hier verbracht, an meiner Seite   – siegessicher   –, dann hättest du es bemerkt. Während du mich hier beobachtet und auf die Neumondnacht gewartet hast, konnte Tabitha die Seelenschützer aus dem Stollen retten. Du siehst, Jachael: Eigentlich wolltest du mich schwächen, indem du auf die Neumondnacht gewartet hast. Doch in Wahrheit hast du dich mit deinem Warten selbst geschwächt. Während du hier wahrscheinlich Muskeln aufgeblasen und dich auf diesen Kampf vorbereitet hast, konnte ich mit Tabithas Hilfe diesen Teil deines Plans verhindern.«
    Jachael entglitt das Grinsen aus dem Gesicht, als schäle es jemand mit einem Messer herunter. »Du bluffst! Das ist nicht dein Ernst.«
    »Geh und sieh nach«, antwortete Rouven bestimmt. Und es war genau dieser Ton, der in Jachael alle Zweifel zerstreute. Rouven bluffte nicht. Er sprach die Wahrheit.
    Jachaels Wut steigerte sich ins Unermessliche. »Dafür wirst du büßen«, zischte er zwischen seinen Zähnen hervor. »Diese Nacht wirst du ohnehin sterben. Doch nun werde ich es auskosten. Langsam werde ich dir das Leben nehmen. Schmerzhaft. Für jeden Seelenschützer, den du gerettet hast, wirst du besonders leiden. Glaub mir, ich habe Methoden, dir Schmerzen zuzufügen, von denen du nicht einmal eine Ahnung hast.«
    Jachaels Worte verfehlten ihre Wirkung
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