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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon
Autoren: Helge Timmerberg
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Gäste, dass man durch Trinkgeld zumindest von ihm Absolution erwarten kann. Ein bisschen kommt’s mir vor wie eineBar im Toreingang zur Hölle. Und dann ist Raja von der Toilette zurück. Er setzt sich neben mich. Der Barmann begrüßt ihn wie einen alten Freund, den man lange nicht gesehen hat. Raja grüßt seinerseits wie einer, der Gründe dafür hat, lange nicht mehr da gewesen zu sein. «He is a very good man», sagt der Barkeeper zu mir. «A very, very good man.» Raja schüttelt den Kopf. «Nein, nein, er lügt. Ich war schlimm. Ich habe hier furchtbare Dinge gemacht.» Und langsam dämmert mir, was los ist. Nein, nicht langsam. Schlagartig wird mir klar, was wir hier machen. Hat er mir nicht irgendwann heute erzählt, dass er mit dem Trinken aufgehört hat? Und hat er damit vielleicht mehr als nur aufgehört gemeint? Ganz aufgehört? Trocken?! Diese verfickten Zahnschmerzen. Sie lassen mich alles andere vergessen.
    «Sag mal, Raja, es ist zwar ’ne komische Frage, aber was hast du eben auf der Toilette gemacht?»
    «Ich habe mich vor den Spiegel gestellt und mich gefragt, ob ich das jetzt wirklich will.»
    «Ach du Scheiße.»
    «No problem. Mach dir keine Gedanken. Es ist okay.»
    «Und wie lange hast du jetzt nichts getrunken?»
    «Zwei Jahre. Keinen Tropfen.»
    «Ach du dicke Scheiße.»
    Natürlich versuche ich, das Ruder noch im letzten Moment herumzureißen. Ich erkläre ihm, dass es für mich absolut kein Ding ist, wenn wir unsere Pläne ändern. Ich muss jetzt nichts trinken. Und er muss jetzt nicht höflich sein. Aber Raja will nichts davon hören. Sein Spiegelbild auf der Toilette hat seine Frage mit «ja»beantwortet, und nun will er einen Whiskey. Ich will einen Rum, und während jeder das seine trinkt, gebe ich mir Mühe, ihn nicht dabei zu beobachten. Trinken ist, was mich angeht, auch das falsche Wort. Ich spüle meinen Zahn und hoffe, der Rum (Marke «Old Monk») wird ihn betäuben. Macht er aber nicht. Im Gegenteil. Der Schmerz nimmt zu. Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, denke ich, aber große manchmal auch. Raja hat dich heute zur Mündung des Ganges gebracht. Und du bringst ihn zurück zur Flasche.
    Na, gute Nacht.

13.   Sechshundert Mahatma Gandhis
    Ich bitte die Dame am Reiseschalter meines Hotels, einen Flug für mich nach New Delhi zu buchen. Eigentlich könnte das auch Raja für mich machen. Aber Raja ist noch nicht da. Und ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt kommen wird. Ich habe ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen. Bingo, sie hat einen Platz. Heute. 20.40   Uhr. Sie will 7900   Rupien dafür.
    Raja betritt das Foyer. Er trägt wieder den schwarzen Anzug, wie beim ersten Mal. Als er bei mir ist, sehe ich, dass er weder im Gesicht schwitzt noch Augenringe hat. Er redet auch ganz normal. Er blafft die Frau wegen der 7900   Rupien an. Achthundert weniger seien korrekt. «Das ist die übliche Provision, Sir», sagt sie ein bisschen erschrocken. «Die international übliche, Sir.»
    Ich habe natürlich ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht Raja die Provision habe verdienen lassen – und ein noch schlechteres Gewissen wegen gestern Abend. Aber meine Sorge ist grundlos. Er ist in der Nacht nicht weitergezogen. Das heißt, er ist nie Alkoholiker gewesen, und dann war es auch kein Entzug, den er vorzwei Jahren gemacht hat, dann hat er nur seinen Lifestyle geändert.
    Raja schlägt vor, den letzten Tag noch zu nutzen. Er will mir den Norden Kalkuttas zeigen. Und Charlotte kommt mit. Sie wartet auf uns im «Fairlawn». Okay? Sehr okay. Raja hat wieder den weißen Ambassador organisiert. Auf dem Weg zum «Fairlawn» gestehe ich ihm meine Sorge, er könne vom rechten Weg abgekommen sein. Raja sieht mich an, als spräche er zu einem Kind. «Wir haben nur einen Drink genommen», sagt er. «Und ein Drink reicht nicht dafür. Da muss der Teufel schon spendabler sein.» Raja Pacino hat gesprochen, oder Al Raja, ganz wie man will.
    Charlotte steigt zu. Wir sind komplett. Wie es an der Mündung des Ganges gewesen ist, will sie wissen. Super, sage ich. Stimmt es, dass es dort nichts zu sehen gibt? Oder war das nur einer von Rajas Scherzen?– Nein, das stimmt. – Aha, aber super? – Ja. Dann erkläre ich Charlotte, warum ich recht wortkarg bin. Zahnschmerzen? Kein Problem. Sie kennt einen guten Zahnarzt in Kalkutta. Ich lehne erschrocken ab.
    «Weißt du, Charlotte, es gibt Menschen, die Angst vor dem Alter haben. Ich nicht. Je älter ich werde, desto technisch
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