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Shit

Shit

Titel: Shit
Autoren: Joerg Schmitt-Killian
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habe.
    „Nein, aber bringen Sie ihn sofort wieder zurück!“, schrie sie verzweifelt. Sie hatte scheinbar nicht registriert, dass Marco nur telefonisch Kontakt aufgenommen hatte.
    „Wohin? Nach Hause? In den Knast? In die Klinik?“, fragte Tom.
    „In die Klinik natürlich!“
    Tom spürte den Druck im Magen.
    „Aber er will in den Knast!“
    „Was sagen Sie da? Das versteh ich nicht!“
    „Ja, er ist abgehauen und will in den Knast.“
    Frau Kniebs gab einen verzweifelten Laut von sich.
    Sie war am Ende ihrer Kräfte.
    Wie er damals.
    Dann beendete sie das Gespräch ohne ein weiteres Wort.
    Tom lehnte sich in seinem Bürosessel weit nach hinten.
    Wo konnte Marco sich aufhalten?
    Hatte er sich mit Anja getroffen und war mit ihr nach Amsterdam gefahren?
    Oder war Anja die noch nicht identifizierte weibliche Leiche, die vor einer Woche aus dem Fangkorb der Moselstaustufe Lehmen gefischt worden war?
    Oder war es gar ...
    Bei jeder Meldung über das Auffinden einer unbekannten Leiche dachte Tom an Sabine.

    Die tiefstehende Sonne schien grell in den Flur des stark renovierungsbedürftigen Polizeipräsidiums. Im vierten Stock des schmucklosen Gebäudes mit den grauen Wänden war das Rauschgiftkommissariat untergebracht.
    Am Ende des Flurs saß ein junger Mann auf der alten Holzbank, die Beamte beim Umzug aus dem alten Präsidium noch vor dem Sperrmüll gerettet hatten. In ihre Rückwand hatten sich viele Straftäter mittels Kugelschreiber oder Taschenmesser verewigt, hatten FUCK YOU, ACAB als Kürzel für „all cops are bastards“ sowie ähnliche Nettigkeiten für die Bullen eingeritzt. Es war eine bunte Sammlung, hingekritzelt von Personen mit mehreren Hundert Jahren Knast.
    Der Kollege der Kriminalwache hatte Waltraud Weiß, der „guten Seele“ im Geschäftszimmer des Rauschgiftkommissariats, einen jungen Mann angekündigt, der dringend Tom Schneider sprechen wollte.
    Tom war noch in einer Vernehmung und Frau Weiß bat den jungen Mann noch um ein wenig Geduld.
    Fast jeden Tag kam irgendjemand aus der Szene. Einige suchten wirklich Hilfe, andere wollten festgenommen werden, weil sie glaubten die Handschellen würden ihr Leben retten.
    Manche wollten sich als Informanten anbieten, einen Dealer anschmieren, der sich ins eigene Gebiet gewagt hatte.
    Insofern war ein solcher Besuch außerhalb der regulären Dienstzeiten nicht ungewöhnlich.
    Die Leute aus der Szene wussten, dass beim Rauschgiftkommissariat nicht um vier der Hammer fällt. Und tatsächlich musste Waltraud Weiß auch heute wieder Überstunden leisten, da die Beamten bei einem Scheingeschäft zwei Dealer festgenommen hatten.
    „Möchtest du was trinken?“, fragte Waltraud Weiß.
    Der junge Mann wischte sich mit dem Ärmel des Pullovers durch das Gesicht.
    Seine Nase tropfte und die Augen schienen in einer Flüssigkeit zu schwimmen.
    „Nein, danke“, erwiderte der Junge.
    Er sieht traurig aus, dachte Waltraud Weiß und ging wieder zurück in ihr Büro.
    Marco blickte zum Fenster am Ende des Flurs.
    Die blutrote Sonne würde bald am Horizont verschwinden.
    Ein Schleier breitete sich vor seinen Augen aus.
    Der rote Sonnenball verkleinerte sich zu einer lilafarbenen Kopfbedeckung, wie sie Bischöfe trugen. Das Käppi schwebte leuchtend rot zwischen den grauen Wolken und urplötzlich schien sich ein Kopf darunter zu bilden.
    Steht da jemand, der mir zuwinkt?, dachte Marco.
    Das verschwommene Bild machte ihm Angst. Er versuchte, an den Grund seines Besuchs zu denken. Heute würde er gegen Conny aussagen. Conny, den er für einen echten Freund gehalten hatte. Er wollte immer so sein wie Conny, bis er dessen wahre Absichten erkannte. Conny war nie ein echter Freund gewesen, sondern ein falscher Hund, eine linke Socke. Aber das erkannte er zu spät. Sein einziger Trost war, dass Conny auch für alle anderen ein falscher Freund war. Er hatte alle nur als Geldgeber für seine Shitgeschäfte und als lebende Versuchskaninchen für Pillen und Trips missbraucht.
    Marco hatte sich in den letzten Tagen in einem Blockhaus inmitten der Schrebergärten am Gülser Moselufer versteckt. Dieses Häuschen gehörte einem Onkel, der zurzeit im Urlaub war. Hier hatte er gestern Abend noch eine Ecstasy eingeworfen, eine hellblaue Pille mit einem vierblättrigen Kleeblatt. Es werde ihm Glück bringen, hatte ihm der Dealer am Schlosspark versichert und irgendwie schien er vertrauenerweckend: Er hatte wie Conny gelächelt, als er ihm den Trip in die Hand gedrückt hatte.
    Marco
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