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Shit

Shit

Titel: Shit
Autoren: Joerg Schmitt-Killian
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Stuhl in der letzten Reihe am Fenster und berichtete von dem tragischen Ereignis. Traurige Augen blickten sie an.
    Alle Mädchen schluchzten leise, einige weinten. Die Jungen versuchten, ihre Tränen zu verbergen. Aber den wenigsten gelang dies. Selbst den Coolsten in der Klasse liefen die Tränen über das Gesicht.
    „Steht bitte auf für eine Schweigeminute!“, sagte die Lehrerin mit brüchiger Stimme.
    Alle erhoben sich von ihren Plätzen und blieben wie angewurzelt neben ihren Tischen stehen.
    Nur Melanie saß auf ihrem Stuhl und stützte den Kopf in beide Hände. Aus ihren Augen tropften Tränen auf das Heft.
    Andy blickte aus dem Fenster und sah dem aufsteigenden Morgennebel nach. In den Nebelschwaden sah er in schemenhaften Umrissen Marcos Gesicht, das kurze Zeit später in den Strahlen der aufgehenden Sonne versank.
    Mary starrte auf die Straße, als wolle sie alle Fahrzeuge zählen, die den Stadtring im morgendlichen Berufsverkehr befuhren.
    Kai stand wie versteinert in der ersten Reihe und blickte durch seinen Tränenschleier auf die Uhr. Seine Augen folgten dem Sekundenzeiger, als wolle er ihn beschwören, sich rückwärts zu bewegen und die Zeit zurückzudrehen.
    Die Schweigeminute wurde zu einer Qual.
    Dabei hatte alles so harmlos begonnen – und jetzt hat die Droge einen aus ihrer Mitte gerissen.
    Andy blickte an die Decke, als könne er mit einem Stoßgebet den schrecklichen Tod von Marco ungeschehen machen.
    Wer war schuld an Marcos Tod? Conny, dieser Scheißkerl. Bei diesem Gedanken ballte Andy die Fäuste unter der Tischplatte zusammen. Wenn er ihn jetzt vor sich hätte, würde er ihm eine in die Fresse schlagen.
    „Danke! Setzt euch bitte wieder hin! Es muss sich niemand wegen seiner Tränen schämen.“
    Die Lehrerin tupfte mit einem Taschentuch ihr Gesicht ab.
    Andy ging zur Wandtafel und schrieb in großen Lettern:
Unsere Gedanken sind bei Dir.
Wir werden Dich nie vergessen.
    Frau Müller versuchte nach der Schweigeminute vergeblich, die richtigen Worte zu finden, aber das eisige Schweigen in der Klasse unterdrückte jedes Gespräch. Der Sekundenzeiger schien jeweils mehr als eine Sekunde zu verharren und sich in Zeitlupe zu bewegen. Jeder war in dieser bisher längsten Stunde seines Lebens mit sich selbst beschäftigt. Heute war ein Stück ihrer Welt zusammengebrochen. Hätten sie Marco helfen können? Viele dachten an die blöden Sprüche „Haschischrauchen macht gleichgültig, aber das ist mir scheißegal“oder „Keine Macht den Drogen, alle Macht den Benutzern“ oder „Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer im Knast sitzt“.
    Nein, das hatte keiner gewollt.
    Sie wollten gemeinsam Spaß haben.
    Sie waren neugierig.
    Wollten neue Erfahrungen sammeln.
    Sie wollten Haschisch rauchen, nicht mehr und nicht weniger. Aber süchtig werden oder früh sterben, das will doch keiner. Jeder ist fest davon überzeugt, dass er wieder aufhören kann. Und nächste Woche würden sie auf dem Hauptfriedhof Abschied nehmen.
    Ob Anja noch lebte?
    Vielleicht. Wer wusste schon, wie lange noch.

Epilog
    Das Glockengeläut der Herz-Jesu-Kirche im Zentrum der Stadt am Zusammenfluss von Rhein und Mosel kann man auch in dem Gebäude hören, aus dem sich Marco Kniebs in den Tod gestürzt hatte. Nur der Schienenhaltepunkt Koblenz-Mitte trennt die Kirche vom Polizeipräsidium.
    Eine Menschentraube steht vor der Kirche, in der kein einziger Platz mehr frei ist. Pfarrer Kraus eröffnet seine Trauerrede mit der Frage nach dem
Warum
.
    Am Ende der Rede zittert seine Stimme.
    Viele Jugendliche haben ihre Kapuzen und Mützen tiefer als üblich ins Gesicht gezogen, um ihre Tränen zu verbergen. Als das Geläut vom Turm der Kirche verstummt, scheint es fast so, als halte die Stadt den Atem an.
    Nach der Trauerfeier in der Friedhofskapelle wandert die lange Menschenschlange zu Marcos letzter Ruhestätte.
    Aus den Lautsprechern der Leichenhalle erklingt Marcos Lieblingslied.
    Halt dich an mir fest
,
    wenn dein Leben dich zerreißt
.
    Halt dich an mir fest
,
    wenn du nicht mehr weiterweißt
.
    Ich kann dich verstehn
.
    Halt dich an mir fest
,
    weil das alles ist, was bleibt
.
    Siehst du den Weg aus dieser Dunkelheit?
    Tom Schneider läuft eine Gänsehaut über den Rücken. Es ist der Song von
Revolverheld
, den Marco während der Durchsuchung seines Zimmers abgespielt hatte. Sein Lieblingsliedauf dem Weg in die ewige Dunkelheit, aus der er nicht mehr zurückkehren wird.
    Der Kriminalhauptkommissar reiht sich in die
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