Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition)
Autoren: Lauren Beukes
Vom Netzwerk:
ich darf nicht mit Streichhölzern spielen. Nicht nach dem letzten Mal.» Sie hat einen etwas schräg stehenden Eckzahn, der leicht über den seitlichen Schneidezahn ragt. Und ihr Lächeln macht ihre brackwasserbraunen Augen mehr als wett, weil er jetzt das Funkeln in ihrem Blick sehen kann. Es lässt dieses Absturzgefühl in ihm aufsteigen. Es tut ihm leid, dass er an dem Haus gezweifelt hat. Sie ist es. Sie ist eins von ihnen. Eins von seinen Shining Girls.
    «Ich bin Harper», sagt er atemlos und streckt ihr die Hand entgegen. Sie muss ihren Griff an der Tasse ändern, um seine Hand zu schütteln.
    «Bist du ein Fremder?», will sie wissen.
    «Jetzt nicht mehr, stimmt’s?»
    «Ich heiße Kirby. Kirby Mazrachi. Aber ich ändere meinen Namen in Lori Star, sobald ich alt genug dafür bin.»
    «Wann gehst du nach Hollywood?»
    Sie zieht die Tasse über den Boden auf sich zu, provoziert das Insekt darunter zu neuen Gipfeln wütender Raserei, und er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat.
    «Bist du sicher, dass du kein Fremder bist?»
    «Ich meine natürlich den Zirkus, verstehst du? Was wird Lori Star dort machen? Trapezfliegerin? Elefantenreiterin? Clown?» Er legt sich den Zeigefinger über die Oberlippe. «Die Dame mit dem Schnurrbart?»
    Zu seiner Erleichterung kichert sie. «Neiiiiin.»
    «Löwenbändigerin! Messerwerferin! Feuerschluckerin!»
    «Ich werde Seiltänzerin. Ich habe schon geübt. Willste mal sehen?» Sie will aufstehen.
    «Nein, warte», sagte er, plötzlich hoffnungslos. «Kann ich deinen Löwen sehen?»
    «Es ist eigentlich kein Löwe.»
    «Das behauptest du», reizt er sie.
    «Okay, aber du musst wirklich vorsichtig sein. Ich will nicht, dass sie wegfliegt.» Sie kippt die Tasse ein winziges bisschen an. Er legt die Wange auf den Boden und späht darunter. Der Geruch nach zertretenem Gras und schwarzer Erde ist beruhigend. Unter der Tasse bewegt sich etwas. Pelzig behaarte Beine, eine Ahnung von Gelb und Schwarz. Fühler tasten in Richtung des Spalts. Kirby atmet scharf ein und kippt den Tassenrand hastig wieder auf den Boden.
    «Das ist aber mal eine dicke Hummel», sagt er und lässt sich auf die Fersen zurücksinken.
    «Ich weiß», sagt sie stolz.
    «Du hast sie ganz schön wild gemacht.»
    «Ich glaube, sie will nicht zum Zirkus.»
    «Soll ich dir was zeigen? Aber du musst mir vertrauen.»
    «Was denn?»
    «Willst du eine Seiltänzerin haben?»
    «Nein, ich …»
    Aber er hat die Tasse schon angehoben und die verstörte Hummel in seine Hand geschoben. Ihr die Flügel auszureißen macht das gleiche dumpfe Geräusch, mit dem man den Stiel aus einer Sauerkirsche zupft, wie in Rapid City, wo er mal bei der Kirschernte gearbeitet hat. Er war kreuz und quer durch das ganze gottverdammte Land gefahren, war der Arbeit nachgejagt wie eine läufige Hündin. Bis er das Haus gefunden hat.
    «Was machst du da!», schreit sie.
    «Jetzt müssen wir nur noch Fliegenpapierstreifen zwischen den beiden Dosen aufspannen. So ein fettes altes Vieh wie das hier müsste es schaffen, die Füße rauszuziehen, aber es ist trotzdem klebrig genug, damit sie nicht runterfällt. Hast du ein bisschen Fliegenpapier?»
    Er setzt die Hummel auf dem Rand der Tasse ab. Sie klammert sich an die Kante.
    «Warum hast du das gemacht?» Sie schlägt ihm auf den Arm, ein Wirbel von Schlägen mit offenen Handflächen.
    Ihre Reaktion verblüfft ihn. «Spielen wir denn nicht Zirkus?»
    «Du hast sie kaputt gemacht! Geh weg! Geh weg, geh weg, geh weg, geh weg.» Es wird zu einem Sprechgesang, im Takt mit jedem Schlag.
    «Hör auf. Jetzt hör aber auf.» Er lacht, aber sie schlägt ihn immer weiter. Er hält sie an den Handgelenken fest. «Ich mein’s ernst. Hör verdammt noch mal auf, Lady.»
    «Man darf nicht fluchen!», brüllt sie und bricht in Tränen aus. Das läuft nicht, wie er es geplant hatte – soweit er überhaupt eine dieser ersten Begegnungen planen kann. Die Unberechenbarkeit von Kindern ermüdet ihn. Deshalb mag er kleine Mädchen nicht, deshalb wartet er, bis sie älter werden. Später ist das alles eine ganz andere Geschichte.
    «Schon gut, tut mir leid. Heul nicht, okay? Ich hab was für dich. Aber bitte, weine nicht. Sieh mal.» Verzweifelt zieht er das orangefarbene Pony heraus, oder versucht es jedenfalls. Der Kopf bleibt in seiner Tasche hängen, und er muss es mit einem Ruck herauszerren. «Hier.» Er streckt es ihr entgegen, will, dass sie es nimmt. Einen der Gegenstände, die alles miteinander verbinden.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher