Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
befand und was vorgefallen war. Dann, mit einem Mal, entsann ich mich und drehte langsam das Licht höher.
    Auch Holmes war dabei, sich zu erheben. Einen Moment lang starrte er ausdruckslos um sich. Auch er hatte vergessen, wo er war. Konnte er sich erinnern, was ihn hergetrieben hatte?
    »Es geht doch nichts über eine Pfeife und einen wärmenden Schluck in einer kalten Frühlingsnacht, Watson.« Er gähnte mit Behagen. »Haben auch Sie in Morpheus’ Armen geruht?«
    Ich sagte, dies wäre wohl der Fall. Dann fragte ich nach Professor Moriarty.
    Holmes sah mich verständnislos an. »Wer?«
    Ich versuchte zu erklären, daß wir von diesem Herrn gesprochen hatten, bevor die Wirkung des Brandys und des Feuers in meinem Kamin sich bemerkbar gemacht hatten.
    »Unfug«, erwiderte er gereizt, »wir diskutierten über Windwood Reade und The Martyrdom of Man , und ich zitierte irgendeinen Jean-Paul. Das ist das letzte, woran ich mich entsinne«, fügte er hinzu und warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Wenn Sie sich an etwas anderes erinnern, kann ich nur unterstellen, daß Ihr Brandy stärker ist, als selbst seine Hersteller behaupten.«
    Ich entschuldigte mich und gab zu, daß meine Phantasie mir wohl einen Streich gespielt hatte. Kurz darauf begann Holmes sich zu verabschieden. Meinen Einwand, daß es beinahe drei Uhr morgens sei, wehrte er ab.
    »Die Nachtluft wird mir guttun, alter Freund. Und Sie wissen, niemand ist mehr erfahren als ich darin, London zu ungewöhnlicher Stunde zu durchstreifen. Seien Sie so gut und sprechen Sie Mrs. Watson meinen Dank für einen reizenden Abend aus.«
    Ich wies darauf hin, daß meine Frau auf dem Lande sei, woraufhin er mich scharf ansah, nickte, eine weitere abfällige Bemerkung über den Brandy äußerte und entschwand.
    Schweren Herzens verriegelte ich die Tür hinter ihm und stieg die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Hier begann ich mich zu entkleiden, entschied mich aber schließlich dagegen und setzte mich vor das – längst erloschene – Feuer, die Hände auf den Knien.
    Eine Zeitlang versuchte ich, mir einzureden, daß Holmes recht hatte, daß er auf einen späten Besuch hereingeschneit war, daß wir ein, zwei Pfeifen geraucht und ein bis drei Gläser getrunken hatten und daß das Gespräch über Professor Moriarty allein meiner Einbildungskraft entsprungen war, da wir über gänzlich andere Themen geplaudert hatten. War das möglich? Es war schwierig, in meinem gegenwärtigen erschöpften Zustand klar zu denken. Ich fühlte mich wie ein Mann, der von einem eindringlichen Alptraum erwacht und für lange Zeit nicht begreift, daß er nicht wirklich in der Hölle ist.
    Ich brauchte handfestere Beweise. Ich nahm die Lampe und schlich wieder nach unten. Hätte unser Hausmädchen zufällig das Zimmer verlassen, so hätte ich ihr einen kuriosen Anblick geboten: ein Mann mittleren Alters ohne Stiefel und Kragen, der sich mit allen Zeichen von Verwirrung die Treppen seines eigenen Hauses herunterstiehlt!
    Ich ging in die Praxis, wo dieses Hirngespinst – wenn es denn eines war – begonnen hatte, und untersuchte die Fensterläden. Sie waren zweifellos geschlossen und verriegelt, aber von wem? War es Holmes gewesen, wie meine Erinnerung es wollte, oder ich? Ich ließ mich hinter meinem Schreibtisch nieder und versuchte, jede Einzelheit unseres Gespräches zurückzurufen, wobei ich mich bemühte vorzugeben, ich sei Holmes in unserem alten Wohnzimmer in der Baker Street und lausche den Darlegungen eines Klienten. Das Resultat hätte einen Zuschauer sicher köstlich amüsiert. Der stiefellose Herr saß nunmehr beim Schein einer einzigen Lampe in einem leeren Sprechzimmer und sprach zu sich selbst – denn es schien mir nötig, von Zeit zu Zeit meine eigenen Ausführungen mit Fragen zu unterbrechen (ganz wie Holmes selbst es zu tun pflegte).
    »Versuchen Sie sich an etwas zu erinnern, das er sagte oder tat bevor Sie beide aufwachten und er den Brandy erwähnte, den Sie zusammen getrunken haben. Gibt es da irgend etwas?«
    »Nein, doch, halt, mir fällt etwas ein!«
    »Exzellent, mein lieber Watson, exzellent!« Ich hörte den vertrauten Ausruf, nur diesmal von meiner eigenen Stimme gesprochen.
    »Als wir zuerst ins Sprechzimmer kamen, fragte er nach Mary. Ich sagte ihm, sie sei aus, wir seien allein. Dann, später, nach unserem Schläfchen vor dem Feuer, bat er mich, während seines Aufbruchs, ihr doch für den reizenden Abend zu danken. Ich wiederholte, was ich schon früher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher