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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden
Autoren: Wolfgang Schüler
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Hohen Gericht standen wir inmitten eines prunkvoll eingerichteten Zimmers. An den Wänden hingen kostbare Gobelins. Auf dem mit Steinplatten ausgelegten Fußboden lagen chinesische Seidenteppiche. Die Schränke stammten allesamt aus dem Barock. In einer Sitzgruppe aus schweren Ledersesseln hatten vor uns drei MännerPlatz genommen: Der Geheime Polizeirat zur Linken, in der Mitte Dr. Alexander von Schleuben-Aumont und zur Rechten ein älterer Bullbeißer. Er schien recht groß zu sein, denn bereits im Sitzen überragte er seine beiden Beisitzer um Haupteslänge. Sein Leibesumfang war gewaltig. Er füllte den breiten Sessel völlig aus. Von den Gesichtszügen und dem schütteren Haupthaar her erinnerte er an Professor Moriarty.
    Wir waren nicht gefesselt worden, doch jeder Widerstand schien ohnehin zwecklos zu sein. Von Lauschbach-Hecker hielt seine Pistole auf uns gerichtet. Eine Patrone steckte im Lauf, sieben weitere im Magazin. Auf diese kurze Entfernung würde jeder Schuss sitzen. Bei diesem großen Kaliber reichte in der Regel bereits ein Treffer völlig aus. Wenn wir Glück hatten, starben wir gleich an dem Schock und nicht erst später an den schweren inneren Verletzungen oder einer Infektion.
    Von Schleuben-Aumont sagte: »Sicherlich haben Sie bereits erraten, was hier geschieht. Es handelte sich um ein wissenschaftliches Experiment. Ich wollte damit beweisen, dass sich jeder Mensch in ganz extremer Weise manipulieren lässt, wenn es nur geschickt genug angefangen wird. Unsereiner sieht und hört nur, was er sehen und hören möchte. Von einem bestimmten Punkt an werden Vernunft, Logik und gesunder Menschenverstand an der Garderobe abgegeben. Was nicht in das Bild passt, wird passend gemacht. Sie wussten ganz genau, dass Colonel Moran einer der bedeutendsten Großwildjäger im gesamten britischen Empire und ein ausgezeichneter Schütze war. Trotzdem sind Sie ihm auf den Leim gegangen. Auf dem Leipziger Hauptbahnhof hat er in vollster Absicht vorbeigeschossen und sich anschließend von Ihnen fangen lassen. Es gehört wahrlich nicht viel Scharfsinn dazu, dies zu erkennen. Trotzdem sind Sie ihm auf den Leimgegangen. Sein Auftrag bestand darin, Ihren Jagdinstinkt zu wecken und Sie auf diese Weise in die Höhle des Löwen zu locken. Wie Sie sich denken können, war der Mann von der Bahnwacht, der Sie im Leipziger Hauptbahnhof verhaftet hat, einer meiner Angestellten. Zuerst haben Sie sich überrumpeln lassen. Danach sind sie brav wie beim Hunderennen dem falschen Hasen hinterhergejagt.« Er schnäuzte sich unappetitlich in ein Taschentuch. »Doch bitte entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit. Den Geheimen Polizeirat kennen Sie bereits, aber ich vergaß, Ihnen den anderen Herren hier an meiner Seite vorzustellen. Es handelt sich um meinen Vater, den ehrenwerten Colonel James Moriarty. In Deutschland ist er besser bekannt als Seamus Ray Morti, Fabrikant und Besitzer der Morti-Zigarettenwerke. Mein Herr Vater war der Auftraggeber des wissenschaftlichen Experiments. Sein Motiv dafür ist ehrenwert und durchaus nachvollziehbar, nämlich Rache. Blutrache, um es ganz genau zu sagen. Sie verdienen den Tod, weil Sie meinen Onkel Professor Moriarty, den Fixstern eines leuchtenden Dreiergestirns, feige und hinterhältig ermordet haben.« Hier war er unweigerlich lauter geworden, besann sich aber dann und fuhr fort: »Nun ist Rache bekanntlich ein Gericht, das am besten kalt genossen werden soll. Daher haben wir so lange gewartet, und nur deshalb dürfen Sie sich noch des Lebens freuen. Als das Spiel begann, sind Sie wie im Märchen den Brotkrumen hinterhergetrabt, die wir Ihnen zugeworfen hatten. Wir haben Sie in die Villa Morti und in unser Sanatorium auf dem
Weißen Hirsch
geschickt. Um Sie bei Laune zu halten, gaben wir Ihnen einige Rätselaufgaben auf. Alle Prüfungen haben Sie meisterhaft bestanden, nur Sie, Mister Holmes, haben leider auf dem
Weißen Hirsch
versagt. Für Sie hatte ich extra einen ganz speziellen Krankenwagen mit hinteremTrittbrett und Haltegriff ausgesucht. Sie sollten nichts weiter tun, als hinten aufspringen und bis zur Burg mitfahren. Aber im entscheidenden Moment hat Sie der Mut verlassen. Daran sieht man, dass auch wissenschaftliche Voraussagen nur bis zu einem bestimmten Maße verlässlich sind.« Dann wandte er sich an mich: »Auch Sie, Dr. Watson, haben sich nicht in allen Punkten an den Ihnen zugedachten Part gehalten. Statt zu wenig, taten Sie zu viel. Zudem sind Sie weit über sich selbst
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