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Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel

Titel: Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
Autoren: Alisha Bionda
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dessen magische Bühnenshow das Publikum in allen Metropolen von Wien bis Paris in ihren Bann zog. Aus Indien hatte er auch eine Frau und einen Jungen mitgebracht – ein glutäugiger Wuschelkopf von ungefähr fünf Jahren, dessen blaue Augen, hervorstehendes Kinn und spitze Nase deutlich den Vater verrieten. In der Londoner Gesellschaft betrachtete man diese ‚Mesalliance’ mit Nasenrümpfen. Aber es schien, als sei Hunzicker Manns genug, die Missbilligung der feinen Gesellschaft zu ertragen. Aus meiner Zeit in Afghanistan war mir nur zu gut bewusst, wie leicht man den Verlockungen des Orients erliegen kann. Aber bei Hunzicker steckte wohl mehr dahinter – er schien seine indische Frau wirklich zu lieben.
    Und dann geschah es. Die Katastrophe. Es mag müßig erscheinen, die Einzelheiten hier auszubreiten, denn da ich dies niederschreibe, sind nur wenige Tage vergangen und noch jedermann frisch im Gedächtnis. Aber da diese Zeilen vielleicht nie oder nur viel später das Licht der Öffentlichkeit erblicken könnten, zu einer Zeit, da die Erinnerung an Hunzicker, den ‚indischen Fakir’, ebenso verblasst sein mag wie der vermaledeite Wasserfleck, den Lestrade auf dem Teppich hinterließ, sei das Wichtigste noch einmal erwähnt: Es scheint, dass die Frau, exotisch, unergründlich, verführerisch in ihrer Fremdheit, die Begierde eines reichen Parvenüs erweckte, der sie auf einem der zahlreichen Empfänge erblickte und in niederer Leidenschaft für sie entbrannte. Er sann auf Mittel und Wege zu bekommen, was er sich ersehnte, wenn nicht freiwillig, so gewaltsam. Er versicherte sich der Hilfe einiger zwielichtiger Gestalten, drang in Abwesenheit Hunzickers in die gemietete Villa ein. Die Frau wehrte sich, es kam zum Handgemenge, in deren Verlauf sowohl das Kind als auch die Frau getötet wurden. Die Bande nahm Reißaus, wurde aber bald darauf von Scotland Yard dingfest gemacht. Alle bis auf einen – den Drahtzieher der ganzen Angelegenheit: Der reiche Industrielle Herbert Merrick, der ein wasserdichtes – offensichtlich erkauftes! – Alibi vorweisen konnte.
    Hunzicker war untröstlich. Die Sensationsgier der Fleet Street tat ein Übriges, die Tragödie im grausigsten Licht erscheinen zu lassen und sparte nicht mit schauderhaften Details der Ereignisse. Wer jedoch gemeint hatte, dies sei nun das Ende der Geschichte und an Schaurigem sei genug geschehen, der hatte sich getäuscht. Hunzicker war nicht damit zufrieden, die Rolle des trauernden Witwers zu spielen. Wie genau er es fertigbrachte, in die gut bewachte Villa von Merrick einzudringen – am helllichten Tage! –, sich des Mörders seiner Frau und seines Kindes zu bemächtigen und an ihm grausame Rache zu vollziehen, während die Wachmänner und Bediensteten von Merrick anscheinend in Tiefschlaf verfallen waren, das wird wohl für alle Zeit das Geheimnis des ‚indischen Fakirs’ bleiben. Dass er Merrick nicht einfach nur tötete – abschlachten war das Wort, das manche der Gazetten dafür fanden –, sondern ihn vorher noch auf grausamste Weise folterte, steht außer Zweifel. Nachdem er seine Tat begangen hatte, ließ er sich – anscheinend verrückt geworden – widerstandslos am Tatort festnehmen. Man fand ihn neben der Leiche des Ermordeten, die er an einem Kleiderhaken an der Tür aufgehängt hatte, wie er laut in einem Buch las und dabei auf eine Fotografie seiner Frau und seines Kindes vor sich auf dem Boden sah. Er war ganz und gar apathisch. Nur wenn man ihm das Buch oder das Foto wegnehmen wollte, fing er an wie ein Besessener um sich zu schlagen und wütende Flüche auszustoßen. Merricks Leiche – jedenfalls den Hauptbestandteil – nahmen die Beamten vom Haken, verschiedene andere Teile sammelten sie im Zimmer ein. Ein entscheidender Teil von Merrick – und zwar derjenige, der seine Männlichkeit ausmachte – war mit einer Heftzwecke und Nadel und Faden an Gaumen und Oberlippe des Ermordeten befestigt worden, so dass es aussah, als ob … Ich erspare mir hier die makabren Details, die jeder in den einschlägigen Gazetten unter dem entsprechenden Datum wird nachschlagen können. Hunzicker selbst wurde, wie allgemein bekannt, noch am selben Tage in das Gefängnis zu Reading verbracht, wo er in einer Zelle der Verhandlung und dem sicheren Todesurteil entgegensah. Seine Anwälte würden sicher auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Die merkwürdige Tatsache seines fast geistesabwesenden Zustands, sein gefühlloses Lesen in dem Buch nach der
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