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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
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Moos und Flechten wuchsen auf dem Feldgestein der Mauern. Die Luft roch feucht und duftete sauber nach Menthol. Ein Vogel tschilpte zaghaft, ließ aber dann das Zwitschern sein.
    Die Straße machte eine Kurve, führte dann wieder geradeaus, und ihr Ende kam in Sicht: ein von einem schmiedeeisernen Tor verschlossener, riesiger steinerner Torbogen. In zwei Reihen hintereinander stand eine Unmenge von Wagen da, Chrom und Lack blitzten.
    Als ich näher kam, sah ich, dass die Zweiteilung zweckdienlich war: In der einen Reihe standen die funkelnden Luxuskarossen; in der anderen billige Kleinwagen, Kombis und ähnliche plebejische Transportmittel. Anführer der Traummobile war ein makelloses weißes Mercedes-Coupé, eine jener Maßanfertigungen mit frisiertem Motor, Stoßstangenhörnern, Spoilern, Goldauflage und einem Nummernschild mit den Buchstaben PPK DR.
    Helfer in roten Jacken hopsten um neuangekommene Wagen herum wie Flöhe auf einem Sommerfell, rissen Türen auf und steckten Autoschlüssel ein. Ich ging hindurch auf das Tor zu und fand es verschlossen. Seitlich an einem der Pfosten befand sich eine Sprechanlage, eine Kontrollanlage für den Wachdienst, ein Schlüsselschlitz und ein Telefon.
    Eine der Rotjacken sah mich, streckte die Hand aus und sagte: »Schlüssel.«
    »Keine Schlüssel. Ich bin zu Fuß hergekommen.«
    Seine Augen wurden schmal. In der Hand hielt er einen überdimensionierten eisernen Schlüssel, der durch eine Kette mit einem Rechteck aus lackiertem Holz verbunden war. Ins Holz eingebrannt waren die Buchstaben V TOR.
    »Wir parken«, bestand er auf seiner Forderung. Ein schwarzhaariger, dunkelhäutiger Typ, dick, mit rundem Gesicht und einem fusseligen Kinnbärtchen, der mit einem Akzent sprach. Seine Hand bewegte sich vor mir hin und her.
    »Kein Wagen«, sagte ich. »Bin zu Fuß gekommen.« Als sein Gesicht leer und ausdruckslos blieb, deutete ich pantomimisch mit den Fingern »gehen« an.
    Er wandte sich einem anderen Diener zu, einem kleinen, mageren jungen Schwarzen, und flüsterte etwas. Beide starrten sie mich an.
    Ich hob den Kopf zum Torbogen hinauf und sah SKYLARK in Goldbuchstaben glänzen.
    »Dies ist das Haus von Mrs. Blalock, richtig?«
    Keine Antwort.
    »Die Universitätsparty? Dr. Kruse?«
    Der mit dem Bärtchen zuckte die Achseln und trottete zu einem perlgrauen Cadillac hin. Der kleine Schwarze trat auf mich zu. »Haben Sie eine Einladung, Sir?«
    »Nein. Ist eine nötig?«
    »Ja - also!« Er lächelte und schien angestrengt nachzudenken. »Sie haben also keinen Wagen und keine Einladung.«
    »Ich wusste nicht, dass man beide mitbringen muss.«
    Er schnalzte mit der Zunge.
    »Ist ein Wagen als Sicherheit oder Bürgschaft nötig?«
    Sein Lächeln verschwand. »Sie sind den ganzen Weg zu Fuß gegangen?«
    »Das stimmt.«
    »Wo wohnen Sie denn?«
    »Nicht weit von hier.«
    »Nachbar?«
    »Geladener Gast. Ich heiße Alex Delaware. Dr. Delaware.«
    »Eine Sekunde.« Er ging zur Sprechanlage, nahm den Telefonhörer ab und redete. Er hängte den Hörer wieder auf, sagte wieder: »Eine Sekunde«, und rannte los, um die Türen eines überlangen weißen Lincoln zu öffnen.
    Ich wartete und sah mich um. Etwas Braunes, Bekanntes fiel mir auf: ein wirklich jämmerliches Fahrzeug, das abgesondert von den anderen am Straßenrand stand. Ausgestoßen - in Quarantäne sozusagen.
    Leicht einzusehen, weshalb: ein anstößiger Chrevrolet-Kombi älteren Baujahrs voller Rostpockennarben und klumpiger Spachtelflecken. Seine Reifen brauchten Luft; der hintere Laderaum war mit zusammengerollten Kleidungsstücken, Schuhen, Pappkartons, Fastfood-Behältern und zerdrückten Pappbechern vollgestopft. Auf der Heckscheibe gab ein gelber, achteckiger Aufkleber die Auskunft: ACHTUNG! INSASSEN SIND MUTIERTE INDIVIDUEN!
    Ich musste lächeln und bemerkte, dass das Schrottmobil so stand, dass man es nicht mehr herausfahren konnte. Ein Dutzend Wagen musste hin und her bewegt werden, um es zu befreien.
    Ein modisch schlankes Paar mittleren Alters stieg aus einem weißen Lincoln, und der Diener mit dem Bärtchen führte sie ans Eingangstor. Er steckte einen überdimensionalen Schlüssel in den Schlitz, drückte einen Code, und eine Eingangstür schwang auf. Ich schlüpfte mit hindurch und folgte dem Paar einen leicht ansteigenden Einfahrtsweg hinauf, der mit schwarzen Ziegeln gepflastert war, die aussahen wie Fischschuppen. Als ich an ihm vorbeiging, sagte der Diener »Hey«, aber ohne Nachdruck, und machte keine
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