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Shardik

Titel: Shardik
Autoren: Richard Adams
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wie jeder andere ihre Neuigkeiten berichten, und während sie auf der Insel wohnten, nahmen sie gewöhnlich die Abendmahlzeit mit Bel-ka-Trazet im Sindrad ein.
    Als Taphro und Kelderek eintraten, wandten sich ihnen fünf oder sechs Gesichter zu. Mit der Mahlzeit war man fertig, und die Reste, Knochen, Rinden und Häute, lagen verstreut auf dem Fußboden. Ein junger Diener sammelte diese Abfälle in einen Korb, während ein anderer frischen Sand aufstreute. Vier von den Baronen saßen noch, die Trinkhörner in der Hand und die Ellbogen auf den Tisch gestützt, auf den Bänken. Zwei aber standen abseits beim Eingang – sie wollten sichtlich noch das letzte Tageslicht benutzen, denn sie diskutierten leise über einem Rechengestell mit Kugeln und einem Stück geglätteter, mit Schriftzeichen bedeckter Rinde. Das war wohl eine Liste oder ein Inventarverzeichnis, denn als Kelderek vorbeiging, sagte einer der beiden Barone, mit Blick auf die Rinde: »Nein, fünfundzwanzig Seile, nicht mehr«, worauf der andere eine Kugel mit dem Zeigefinger zurückschob und erwiderte: »Und du hast fünfundzwanzig Seile bereitliegen, oder?«
    Kelderek und Taphro blieben vor einem jungen, sehr hochgewachsenen Mann mit einem silbernen Ring am linken Arm stehen. Als sie eingetreten waren, hatte er mit dem Rücken zur Tür gesessen, doch nun drehte er sich um und blickte sie an; in einer Hand hielt er sein Trinkhorn; er saß einigermaßen unsicher auf dem Tisch, seine Füße stützten sich auf die Bank darunter. Mit ausdruckslosem Lächeln maß er Kelderek von oben bis unten, sagte aber nichts. Kelderek senkte verwirrt den Blick. Der junge Baron schwieg weiter, und der Jäger versuchte, um Haltung zu bewahren, seine Aufmerksamkeit auf den großen Tisch zu richten, der ihm schon geschildert worden war, den er aber noch nie gesehen hatte. Er war alt und mit einer Kunstfertigkeit geschnitzt, über die kein jetzt auf Ortelga lebender Zimmermann oder Holzarbeiter verfügte. Jedes der acht Beine war in Pyramidenform geschnitten, die spitz zulaufenden Seitenflächen bildeten eine Reihe von Stufen, die bis nach oben reichten. Die beiden Ecken der Tischplatte, die er sehen konnte, stellten wütende Bärenköpfe mit geöffnetem Maul und vorgeschobener Schnauze dar. Sie waren äußerst lebensecht. Kelderek zitterte und bückte rasch wieder auf.
    »Und wasch für Ekschtraarbeit bringt ihr unsch?« fragte der junge Baron munter.
    »Ihr wollt wohl Burschen für ‘n Dammbau, oder?«
    »Nein, Herr«, sagte Numiss leise. »Das ist der Mann, der dem Shendron nicht berichten wollte.«
    »Scho?« fragte der junge Baron, leerte sein Horn und winkte einem Diener, er solle es wieder füllen. »Isch alscho ‘n vernünftiger Mann. Hat kein’n Schinn, mit Schendrons tschu reden. Blöde Burschen. Alle Schendrons blöde Burschen, nöch?« sagte er zu Kelderek.
    »Glaubt mir, Herr«, antwortete Kelderek, »ich habe nichts gegen den Shendron, aber – aber die Sache – «
    »Kannscht du leschen?« unterbrach ihn der junge Baron.
    »Lesen? Nein, Herr.«
    »Ich auch nicht. Schau dir dort drüben den alten Fassel-Hasta an. Was liest er? Wer soll das wissen? Gib nur acht: der wird dich behexen.«
    Der Baron mit dem Rindenstück wandte sich stirnrunzelnd um und starrte den jungen Mann an, als wollte er sagen, er sei jedenfalls nicht jemand, der sich wie ein betrunkener Narr aufführe.
    »Ich werde es dir sagen«, erklärte der junge Baron, glitt vom Tisch nach vorne und landete mit einem Ruck auf der Bank, »alles übers Schreiben – ein Wort – «
    »Ta-Kominion«, rief eine heisere Stimme aus dem anderen Zimmer, »ich will mit diesen Männern sprechen. Zelda, führe sie herein.«
    Ein anderer Baron erhob sich von der Bank gegenüber und winkte Kelderek und Taphro. Sie folgten ihm aus dem Sindrad ins andere Zimmer, wo der Großbaron allein saß. Beide neigten zum Zeichen des Respekts und der Untertänigkeit den Kopf und hoben die Handflächen an die Stirn, senkten den Blick und warteten.
    Kelderek, der noch nie vor Bel-ka-Trazet gestanden hatte, hatte sich auf diesen Augenblick vorbereiten wollen. Ihm gegenüberzutreten war an sich eine Qual, denn der Großbaron war widerlich entstellt. Sein Gesicht – wenn man es noch ein Gesicht nennen konnte – sah aus, als wäre es eingeschmolzen worden und man hätte es ihm überlassen, von selbst wieder fest zu werden. Das linke Auge unter der weiß umsäumten Stirn lag schief und war gräßlich über die Wange nach unten
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