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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram
Autoren: Gregory David Roberts
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helle Haut. Obwohl sie nicht groß war, wirkte sie durch ihre aufrechte Haltung und ihren festen Stand kraftvoll und entschlossen. Sie trug Pumphosen aus Seide, flache schwarze Schuhe, ein lose fallendes Baumwollhemd und einen langen breiten Seidenschal. Ihre Kleidung schillerte in unterschiedlichen Grüntönen, und die beiden Enden des Seidenschals wirbelten und flatterten auf ihrem Rücken wie eine Mähne.
    Der Schlüssel zu allem, was ein Mann an dieser Frau lieben und fürchten sollte, offenbarte sich schon in jenem ersten Augenblick – in dem ironischen Lächeln, das ihre vollen geschwungenen Lippen umspielte. Stolz zeichnete sich in diesem Lächeln ab und Selbstsicherheit in ihrer schmalen feinen Nase. Ohne auch nur im Geringsten zu verstehen, weshalb, war ich mir sicher, dass viele Menschen ihren Stolz für Überheblichkeit und ihre Selbstsicherheit für Gleichgültigkeit hielten. Diesen Fehler beging ich nicht. Mein Blick verlor sich, schwebte und trieb in der schimmernden Lagune ihres klaren Blicks. Ihre Augen waren groß und unfassbar grün. So grün wie Bäume in besonders intensiven Träumen. So grün wie der Ozean, wenn der Ozean vollkommen wäre.
    Ihre Hand ruhte noch immer in meiner Armbeuge, neben dem Ellbogen. Die Berührung war so, wie die Berührung einer Liebsten sein soll: vertraut, und doch so erregend wie eine geflüsterte Verheißung. Ich verspürte den schier unwiderstehlichen Drang, die Hand dieser Frau zu nehmen und sie auf meine Brust zu legen, nahe dem Herzen. Vielleicht hätte ich das damals tun sollen. Heute weiß ich, dass ihr die Geste gefallen und dass sie gelacht hätte. Doch damals waren wir Fremde, und so verharrten wir fünf lange Sekunden in der Bewegung und starrten uns in die Augen, umwirbelt von all jenen anderen Welten, all den möglichen Leben, die es niemals geben würde. Dann sprach sie.
    »Das war knapp. Glück gehabt.«
    »Ja«, sagte ich und lächelte. »Habe ich immer noch.«
    Ihre Hand entfernte sich von meinem Arm. Die Geste wirkte locker und entspannt, doch für mich war sie so erschreckend, als sei ich ruckartig aus einem bunten und beglückenden Traum erwacht. Ich beugte mich vor und blickte links und rechts an der Frau vorbei.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Ich halte Ausschau nach Ihren Flügeln. Sie sind doch mein Schutzengel, oder nicht?«
    »Ich fürchte nein«, erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln, das Grübchen in ihren Wangen erscheinen ließ. »Ich habe zu viel vom Teufel in mir.«
    »Um wie viel genau handelt es sich denn?«, erkundigte ich mich grinsend.
    Auf der anderen Seite des Tabaktisches stand eine Gruppe junger Inder. Einer von ihnen, ein gutaussehender sportlicher Typ Mitte zwanzig, trat auf die Straße und rief: »Karla! Komm schon, yaar !«
    Die Frau wandte sich um und winkte ihm zu, dann verabschiedete sie sich mit einem Händedruck, der fest, aber ebenso vieldeutig war wie ihr Lächeln. Vielleicht mochte sie mich, vielleicht war sie aber auch froh, mich wieder loszuwerden.
    »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte ich, als sie meine Hand losließ.
    »Wie viel Teufel ich in mir habe?«, erwiderte sie, und das ironische Lächeln erschien wieder. »Das ist eine sehr persönliche Frage. Wenn ich’s mir recht überlege, ist das sogar die persönlichste Frage, die mir je gestellt wurde. Aber wenn Sie mal im Leopold’s vorbeischauen, bekommen Sie vielleicht eine Antwort.«
    Ihre Freunde standen nun auf unserer Seite des Tabakstands, und sie gesellte sich zu ihnen. Diese jungen Inder trugen die gepflegte westlichmodische Kleidung der Mittelschicht. Sie lachten viel und berührten sich freundschaftlich, doch Karla blieb von dieser Vertrautheit ausgeschlossen. Sie schien von einer Aura umgeben, die anziehend und undurchdringlich zugleich war. Ich trat näher und tat, als beobachte ich den Zigarettenverkäufer mit seinen Blättern und Pasten. Als Karla mit ihren Freunden sprach, horchte ich angestrengt, verstand jedoch die Sprache nicht. Ihre Stimme klang jetzt erstaunlich tief und kehlig, und ich spürte, wie sich die Haare an meinen Armen aufrichteten. Auch das hätte ich wohl als Warnung verstehen sollen. Die Stimme, sagen die afghanischen Ehestifter, macht die halbe Liebe aus. Doch das wusste ich damals nicht, und mein Herz begab sich flugs dorthin, wo sogar die Ehestifter Vorsicht walten lassen.
    »Schauen Sie, Mr. Lindsay, hab ich gekauft zwei Zigaretten für uns«, verkündete Prabaker, als er wieder zu mir trat und mir mit
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