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Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)

Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)

Titel: Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
Autoren: Kim Lenox
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einem Stuhl in einem Eckchen einzudösen.«
    »Vielen Dank, Herr Doktor. Ich werde nur noch eben Lizzy abfertigen. Meinen Sie, einer der Kutscher könnte sie und ihre Begleiterin zu ihrem Wohnhaus bringen? Ich glaube, es ist in dem einfachen Viertel an der Shoe Lane.«
    »Ja, gewiss. Dann freuen wir uns darauf, Sie heute Abend zu sehen.« Als sie die Tür hinter sich zuzog, lächelte er.
    Mit einem schnellen Blick auf ihre Taschenuhr eilte Elena den Flur entlang und in die überfüllten Warteräume. Sie machte sich nicht die Mühe, nach links zu schauen, denn der Raum dort würde nur voller Männer sein – Seeleute, Fabrikarbeiter und andere männliche Arbeiter. Stattdessen ging sie nach rechts.
    »Mrs Eddowes?«, rief sie. »Ich suche nach einer Mrs Eddowes.«
    In dem großen, schlecht beleuchteten Raum herrschte lebhaftes Gemurmel, regelmäßig unterbrochen von Husten und Stöhnen. Einige Gesichter drehten sich in ihre Richtung, aber die Leute wandten den Blick schnell wieder ab. Frauen und Kinder liefen im Raum herum oder saßen auf Holzbänken. Einige schliefen auf dem Boden oder in Ecken. Die Luft roch nach Krankheit und menschlichem Schmutz. Die bedauernswerten Damen um Elena herum trugen ein Sammelsurium von Kleidungsstücken, und die meisten hatten alles, was sie besaßen, am Leib. Jedes Antlitz erzählte durch seine Narben oder Runzeln, durch das Mienenspiel oder fehlende Zähne eine andere Geschichte. Sie konnte es nicht erklären, nicht einmal sich selbst, warum sie sich auf dieser düsteren Station wohler fühlte als bei einem Nachmittagstee in den luxuriösen Salons von Mayfair. Wahrscheinlich lag die Antwort irgendwo in ihrer Vergangenheit verborgen.
    Elena strebte in den hinteren Teil des Raums. »Mrs Eddowes?«
    Zwei kleine Jungen, die die Fäuste sausen ließen, gerieten ihr in den Weg. »Ich bin der Ripper! Ich werde dir die Eingeweide rausschneiden und dich als Fraß für die Hunde liegen lassen.«
    »Hilfe! Polizei!«, brüllte der andere und purzelte vor Elenas Füße.
    »Aufhören, ihr zwei!«, befahl Elena und machte die autoritäre Stimme der Oberschwester so gut nach, wie sie konnte. Sie nahm den Jungen am Arm und half ihm auf die Füße. »Keine wilden Spiele, oder ihr geht nach draußen. Mit wem seid ihr hier? Also gut, setzt euch zu eurer Mutter, dort hinten an der Wand.«
    Sie versuchte es ein letztes Mal. »Mrs Eddowes?«, rief sie.
    Niemand hob die Hand oder stand auf. Elena betete, dass Lizzy nicht im Stich gelassen worden war, nicht jetzt, da sie so verzweifelt die Beständigkeit einer Freundin brauchte. Sie ging in den Flur zwischen den beiden Warteräumen zurück, wo der Pförtner an seinem Schreibtisch saß.
    »Mr Morgan, haben Sie vielleicht eine Frau gesehen, die einen schwarzen Hut trägt und einen Mantel mit einem pelzbesetzten Kragen?«
    Der Pförtner nickte erschöpft. »Oh ja, an die erinnereich mich . Ist mit einem großmäuligen Flittchen auf der Bank gleich hier vorn in Streit geraten.« Er deutete mit dem Daumen auf das Portal. »Hat sich ungefähr vor einer Viertelstunde davongemacht.«
    »Verdammt«, murmelte Elena und ballte die Hände zu Fäusten.
    Er stieß ein müdes Lachen aus. »Gott, Sie hören sich ja schon an wie ein Mädchen aus Whitechapel!«
    Elena bedachte ihn mit einem kläglichen Lächeln und trat durch die großen vertäfelten Türen unter die Arkaden, die sich die gesamte Front des Krankenhauses entlangzogen. Sie boten einen begrenzten Blick auf die Whitechapel Road. Jetzt am späten Nachmittag waren die Schatten lang, und es hing ein dünner grauer Nebel in der Luft. Ein alter Mann mit einem zerbeulten Hut und geflicktem Mantel saß auf der obersten Stufe vor den Arkaden und rauchte einen Stumpen. Hinter ihm fuhr klappernd eine Droschke vorbei, in deren Lampen orangefarbene Flammen flackerten.
    »Sir«, rief sie. »Hat hier eine Frau gewartet?«
    Er nickte und zeigte nach rechts zur Raven Row.
    »Vielen Dank, Sir.«
    In der Luft lag eine unangenehme Kühle, und undeutliches Stimmengewirr wehte von den nahen Branntweinschänken herüber.
    Um sich zu wärmen, verschränkte Elena die Arme vor der Brust und ging den Säulengang entlang. Ein leichter Wind erfasste ihre Röcke und wirbelte sie um ihre Beine. Als sie das Ende der Arkaden erreichte, trat sie vor die letzte Säule, sah jedoch nichts als Nebel und Schatten. Sie runzelte die Stirn. Es schien, als bliebe ihr nichts anderes übrig, als Lizzy zu sagen, dass Mrs Eddowes ohne sie fortgegangen war.
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