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Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek
Autoren: Carl Nixon
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dem asphaltierten Teil der Straße. Wegen seiner Arthritis schlief er schlecht und hörte gewöhnlich, wenn Autos nachts bis zum Farmtor fuhren. In der letzten Nacht hatte er nichts gehört.
    Er dachte daran, sofort zum Haus zurückzukehren und die Polizei zu benachrichtigen. Doch irgendwie schien ihm das nicht richtig. Aus einem Grund, den er erst sehr viel später würde benennen können, dachte er an seinen Vater. Weihnachten war er vierzig Jahre tot gewesen, und immer noch fragte sich der Mann, was der alte Griesgram wohl tun würde, wenn er jetzt hier wäre.
    Er seufzte und ging noch näher heran, wobei er auf die rutschigen Kiefernnadeln achtgab. Trotz seiner steifen Finger und der Druckstelle unter seinem linken Fuß kletterte er auf den Zaunpfahl. Langsam, Zentimeter für Zentimeter; flüssige, schnelle Bewegungen waren ihm schon lange nicht mehr möglich. Er kam sich vor wie aus Holz gemacht, wie ein Liegestuhl vielleicht, den man behutsam auseinanderklappen mußte, weil die Scharniere verrostet waren. Der Pfosten, auf dem sein Fuß jetzt stand, war erst kürzlich erneuert worden, wie einige andere auch. Das Holz war hell, ohne Flechten oder feuchte Flecken. Der alte Mann hatte im letzten Sommer ein paar Leute von der Stadt gesehen, die verfaulte Zaunpfähle durch neue ersetzten. Jetzt, mit einem Fuß auf dem Pfahl und einer Hand an der rauhen Baumrinde, konnte er sich mit dem anderen Fuß vom Boden des Abhangs abstoßen. Er schwankte ein bißchen, dann stützte er sich am Baum ab und fand Halt.
    Der Leichnam hing mit dem Rücken zu ihm. Als er sicher stand, fischte der alte Mann mit der Linken sein Taschenmesser aus der Gesäßtasche und klappte mit Hilfe seiner Zähne die große Klinge heraus. Das Metall berührte seine Zunge, und sofort schmeckte er es im ganzen Mund: scharf und brackig, seine Füllungen schmerzten davon. Er balancierte auf dem Pfosten und schwankte wieder ein wenig, als hätte sich ein Morgenwind erhoben, doch die Luft war ruhig und kalt.
    Nein, die Leiche war gestern noch nicht dagewesen, da war er ganz sicher. Wenn der Junge am gestrigen Abend hier raufgekommen war, als es noch hell genug war, um das zu tun, was er tun zu müssen glaubte, dann hatte er die ganze Nacht da gehangen. Der Mann erinnerte sich, daß der Wind kurz vor Mitternacht ziemlich heftig gewesen war. Er hatte im Bett gelegen und gelauscht, wie der Wind auf Südwest gedreht hatte und die Kiefern und die beiden großen Eukalyptusbäume bei seinem Haus in der Dunkelheit knarrten und rauschten. Im Nebenzimmer hatte Irene, seine Frau, mit ihrem schweren Federbett geraschelt. Sie nahm jeden Abend zwei Schlaftabletten und wäre nicht mal dann aufgewacht, wenn am Fußende ihres Bettes ein Eisenbahnzug voller Sexualverbrecher gehalten hätte.
    Er stellte sich vor, wie der Junge in der Dunkelheit tot am Baum hing. Wie der starke Wind ihn wohl gedreht haben mochte. Der Südwestwind blies immer heftig durch dieses Tal. Bog die Bäume. Er stellte sich vor, wie sich der Leichnam bewegte, hin- und herschwang, sich drehte – und das weniger als hundert Meter von seinem Haus entfernt, wo er friedlich in seinem Bett lag. Die Knochen in den Fußballen des Mannes begannen zu schmerzen, der Pfahl bot zuwenig Platz, er mußte auf den Ballen balancieren. Er versuchte den Schmerz zu ignorieren, um sich auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren. Er mußte sich weiter strecken, als er gedacht hatte, um mit seinem Messer an das Seil zu kommen. Es war eine erstklassige Klinge, mußte sie auch sein, denn das Messer hatte eine hübsche Stange Geld gekostet. Er schärfte sie regelmäßig, daher bedurfte es nur zweier ziemlich riskanter Bewegungen mit nach vorn gerecktem Oberkörper, und das Seil zerfaserte und riß.
    Der Junge stürzte zu Boden. Das Geräusch ließ den alten Mann erschauern. Der Leichnam sackte nicht in sich zusammen, wie er erwartet hatte, sondern blieb steif und begann sofort den Abhang hinabzurutschen. Einen entsetzlichen Moment lang dachte der Mann, daß er endlos weiterrutschen würde, bis über einen Kamm hinaus, hinter dem er ihn nicht mehr würde sehen können, vielleicht sogar bis in die Neupflanzungen ... Doch er blieb an ein paar aus dem Boden ragenden Wurzeln hängen. Da lag er, den Kopf mit dem dunklen glatten Haar nach unten.
    Vorsichtig ließ sich der Mann von dem Zaunpfahl herunter, brauchte dazu sogar länger als zum Raufklettern. Als er endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, dehnte er seinen
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