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Serial

Serial

Titel: Serial
Autoren: J Kilborn , Blake Crouch
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zwei Schlüsselkarten und zweihundert Dollar Bargeld heraus. Endlich zog sie sich an und verließ das Hotelzimmer. Sie nahm den Fahrstuhl hinunter zur Empfangshalle, wo es außer einigen unerschrockenen Säufern, die es sich auf einem Sofa bequem gemacht hatten und ein Trinklied nach dem anderen anstimmten, mittlerweile leer war.
    Draußen wurde Lucy von der frischen, kühlen Luft begrüßt, die nach der ihr unbekannten Stadt duftete.
    Der Wind wehte zwischen den Wolkenkratzern.
    Die Bürgersteige waren wie leergefegt.
    Die Straßen ebenso.
    Es fühlte sich seltsam an, so allein zu sein. Außer ihren Schritten drang kein einziger Ton an ihr Ohr. Es schien ihr schier unmöglich, dass die Beerdigung ihres Vaters heute stattgefunden hatte. Ob noch einige Besucher bei ihr zu Hause geblieben waren, um ihre Mutter und ihren Bruder zu trösten? Oder waren bereits alle gegangen?
    Ihr fiel das Licht eines öffentlichen Telefons auf der gegenüberliegenden Straßenseite in die Augen.
    Sie überquerte die Straße, fummelte in ihrer Hosentasche nach ein paar Münzen und wählte eine Nummer.
    Nach dem fünften Klingeln antwortete ihre Mutter, die Stimme müde und heiser vom vielen Weinen.
    » Hallo?«
    Lucy sagte nichts, sondern hörte einfach nur zu. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    » Hallo? Lucy? Bist du das, Lucy?«
    » Hallo, Mom.«
    » Um Gottes willen, wo bist du? Geht es dir gut?«
    » Ich wollte dir etwas sagen«, begann sie, und ihre Stimme fing zu zittern an.
    » Was denn, Liebes? Was?«
    Lucy schrie ins Telefon: » ER HAT MICH GELIEBT , DU BLÖDE SCHLAMPE ! ER HAT MICH GELIEBT ! ICH WÜNSCHTE , DU WÄRST TOT ! ER IST DER EINZIGE , DEN ICH JE GELIEBT HABE !«
    Dann knallte sie den Hörer wütend auf die Gabel und schrie und schrie, bis ihre Kehle brannte.
    Das Auto ihrer Mutter stand neben einer Parkuhr. Lucy hatte für drei Stunden Geld eingeworfen– mehr war nicht möglich gewesen. Es war der einzige Parkplatz weit und breit, den sie hatte ausfindig machen können, auch wenn er vier Häuserblocks vom Hotel entfernt lag. Inzwischen war die Zeit längst abgelaufen, und unter den Scheibenwischern klemmten fünf orangefarbene Umschläge. Eine Radkralle schmückte den rechten Vorderreifen.
    Sie öffnete die Tür und zerrte den Gitarrenkoffer aus dem Wagen, ehe sie sich zurück zum Hotel begab.
    Die Schlüsselkarte funktionierte bereits beim zweiten Versuch. Sie schlüpfte in das Hotelzimmer und schloss hinter sich ab. Dann verstaute sie Marks Koffer, Schuhe, Geldbörse und Jacken im Wandschrank.
    Sie war fluchtartig von zu Hause abgehauen und hatte ihre Lieblingsbücher, Kleider und einige Toilettenartikel in das erstbeste Behältnis geworfen, das sie gefunden hatte– in den Gitarrenkoffer ihres Bruders. Jetzt öffnete sie die beiden Schnallen, hob den Deckel und legte ihn aufs Bett, um den Inhalt darauf auszukippen. Dann machte sie sich daran, ihre Outfits für die Konferenz zurechtzulegen und die Falten glatt zu streichen.
    Ehe sie ins Bett ging, betrat sie erneut das Badezimmer. Sie kniete sich vor Mark hin, fuhr ihm zärtlich durch die Haare und liebkoste die klaffende Wunde an seinem Hals.
    Um vier Uhr lag sie endlich im Nachthemd im Bett und träumte davon, was ihr der kommende Tag wohl bescheren würde.
    Am nächsten Morgen wimmelte das Hotel von Menschen, und Lucy musste fünf Minuten warten, ehe sie in den Lift steigen konnte, um ins Parterre zu fahren. Sie holte sich ihr Namensschild und eine Buchtasche von der Rezeption ab, kaufte sich einen Latte macchiato und ging dann zur ersten Veranstaltung des Tages.
    Bei dem Vortrag » Mit der Dunkelheit vertraut: Was macht einen Bösewicht böse?« wirkten fünf Krimiautoren mit, von denen sie lediglich einen dem Namen nach kannte. Trotzdem waren alle fünf unterhaltsam. Nach der Diskussion ging sie zu einem kauzigen Buchverkäufer aus Milwaukee namens Katz und kaufte sich mit Marks Geld sämtliche Bücher der Diskussionsteilnehmer.
    Als sie mit den Büchern durch den Raum ging, in dem die Bücher der anwesenden Autoren verkauft wurden, konnte sie kaum an sich halten vor Freude, mit so vielen Leuten zusammen zu sein, die gerne lasen. In der Schule hatte man nie jemanden mit einem Buch in der Hand gesehen– zumindest nicht aus bloßem Vergnügen. Wenn sie mit einem Buch im Gemeinschaftsraum gesessen hatte, war sie verspottet worden. Andererseits waren die meisten Leute hier so alt wie ihre Großeltern, und viele von ihnen erweckten den Eindruck, als ob sie genauso
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