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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim
Autoren: Kathrin Lange
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»Und was ist mit der Hexenanklage?«
    Katharina tippte auf das Schreiben. »Weiter unten steht, dass der Rat sich vorbehält, die Untersuchung wieder aufzunehmen, sollte eine weitere Anzeige gegen mich eingehen. Wenn das nicht der Fall ist, wird nichts geschehen.«
    »Meinen Glückwunsch, Kind!«
    Katharina vermochte sich jedoch nicht richtig zu freuen. Plötzlich fiel jedes bisschen Leichtigkeit, das Richards Gegenwart in ihr wachgerufen hatte, von ihr ab, und die Gedanken in ihrem Kopf begannen ihren vertrauten Tanz. Was, wenn jetzt, da ihre Identität als Stieftochter des ehemaligen Henkers offengelegt worden war, ihre Kundinnen fortbleiben würden? Wovon sollte sie leben? Wie sollte sie sich und ihre Mutter ernähren?
    Für einen Moment ruhte ihr Blick auf Mechthild. Dann trat sie neben sie hin, küsste sie auf den Scheitel und floh das Zimmer.
    »Wohin willst du?«, rief Mechthild ihr nach.
    »Ich muss ein wenig frische Luft schnappen.« Katharina griff nach dem schwarzen Schleier, dann überlegte sie es sich anders. Sie öffnete die Truhe, legte ihn hinein und nahm stattdessen einen weißen heraus, den sie sich aufsetzte. Dann schlang sie sich ihre Schaube um die Schultern und verließ das Haus.
    Die Sonne versank hinter den Dächern, und es wurde rasch kühl. Katharina zog den Kragen enger um den Hals. Eine Weile wandertesie vor sich hin und dachte dabei an die Geschehnisse, die Pömers Verhaftung gefolgt waren. Prior Claudius war zu ihr gekommen und hatte ihr erzählt, dass man die toten Inquisitoren im Kreuzgang des Klosters beerdigt hatte. Dann hatte er mit ihr über den Hexenhammer und über ihr Verhör im Lochgefängnis sprechen wollen, aber das Gespräch war bald auf Joachim Gunther gekommen. Prior Claudius hatte Katharina voller Neugier über den Hingerichteten ausgefragt. Schließlich war er nachdenklich und sehr schweigsam wieder in sein Kloster zurückgekehrt.
    Bruder Markus hatte sich seit der Beerdigungszeremonie für seine Gefährten in der Klosterkapelle eingeschlossen, um zu beten und zu fasten.
    Der Gedanke an den Inquisitor ließ Katharina frösteln, und sie beschleunigte ihren Schritt ein wenig.
    Pömers Gift, das die Büttel und Bruder Johannes in den Brunnen hatten fließen lassen müssen, hatte zu einem weiteren Ausbruch von Wahnsinn innerhalb der Stadtmauern geführt, allerdings war dieser nichts gewesen, im Vergleich zu dem ersten. Die Berichte darüber, die der Stadtrat anschließend herausgab, sprachen von drei Dutzend Opfern. Außerdem hatte es zwei weitere Brände gegeben, und einer der Wahnsinnigen hatte das Gerüst von St. Sebald bestiegen und es dabei aus seiner Verankerung gerissen. Als es umgestürzt war, hatte es vier Grabsteine auf dem nahe gelegenen Friedhof beschädigt.
    Diesem letzten Aufflackern des Wahnsinns war dann Erleichterung gefolgt; Erleichterung, der Verdammnis noch einmal entkommen zu sein. Ein Aufatmen war spürbar gewesen, vergleichbar mit jenem, das das Volk ergriff, wenn eine Pestepidemie sich dem Ende zuneigte. Einige Tage lang hatten die Menschen sogar auf den Straßen der Stadt gefeiert, bis schließlich die Geißler wieder in Erscheinung getreten waren. Die aufgebrachte Menge hatte sie mit Stöcken und Steinen zum Stadttor hinausgejagt, und das war das endgültige Ende der Geißlerbewegung von Nürnberg gewesen.
    Die Schatten der Häuser wurden jetzt rasch länger. Katharina blickte in den Himmel, dessen Wolken sich glutrot verfärbt hatten. Zwei Marktfrauen standen an einer Hausecke und unterhielten sichnoch ein wenig, bevor sie den Heimweg antreten würden. Katharina konnte hören, was sie sagten.
    »Wie geht es eigentlich deinem Neffen?«
    »Wieder besser. Die Wunde ist gut verheilt.«
    »Er hatte sich einen Nagel eingetreten, oder?«
    »Ja. Ein paar Tage vor dem großen Wahnsinn.«
    Katharina musste lächeln.
    Die Erinnerungen waren dabei, sich in Geschichten zu verwandeln. Bald würde das Geschehen nichts anderes mehr sein, als eine Möglichkeit, das Vergangene zu bemessen.
    Vor dem großen Wahnsinn, erinnerst du dich ...?
    Der Gedanke daran, wie schnell Nürnberg zu seinen täglichen Geschäften zurückgekehrt war, hatte etwas Tröstliches für Katharina, aber gleichzeitig machte es sie auch traurig. Wie leicht die Menschen vergaßen ...
    Sie spürte, wie die Spinnweben ihren Kopf mit dem vertrauten Grau zu füllen begannen.
    Die Bohlen einer Brücke, die unter ihren Füßen dröhnten, weckten sie aus ihrer Grübelei, und sie erkannte, dass sie
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