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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim
Autoren: Kathrin Lange
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sich räuspern.
    Katharina wandte sich wieder dem Pult zu, und Richard konzentrierte sich auf Hartmann und sein Gespräch mit Johannes.
    »Ich mag es nicht, wenn Fragen offen bleiben«, sagte Hartmann gerade.
    Richard konnte ihm nur beipflichten. Auch er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Seine Gedanken wanderten zu jenen Stunden in der Höhle zurück, als er zwischen Wahnsinn und Vernunft geschwebt hatte.
    War da nicht immer wieder ein zweiter Mann gewesen?
    Die Frage quälte ihn, seit er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war.
    Jetzt schob er sie zur Seite. Wahrscheinlich hatte er sich den zweiten Mann eingebildet.
    Sie würden nicht alle Fragen beantworten können.
    Es würden Geheimnisse übrig bleiben, aber vielleicht mit der Zeit immer weniger.
    Er sah Katharina zu, wie sie ein Buch zur Hand nahm und es aufschlug. Sie hatte ihn einige Male besucht, als er noch das Bett hatte hüten müssen. Und bei einer dieser Gelegenheiten hatte er ihr von seiner Schuld an Magdalenas Tod erzählen wollen. Wie erstaunt war er gewesen, als er erkennen musste, dass sie die Wahrheit längst kannte, weil sie von allein darauf gekommen war. Dass sie sich trotzdem nicht von ihm zurückgezogen hatte und ihre Augen ihn dennoch voller Wärme und Zuneigung ansahen, hatte sein Herz leicht werden lassen. Er war versucht gewesen, ihr auch von Cesare Vasari zu erzählen. Es war bei dem Versuch geblieben.
    »Seid mir nicht böse«, hatte er gesagt. »Es ist nach wie vor besser, wenn Ihr nicht alles wisst.«
    Und Katharina hatte nur erwidert: »Arnulf hat mir versprochen, dass Ihr irgendwann den Mut finden werdet, Euch mir ganz zu offenbaren.«
    In diesem Moment war Richards Schmerz über den Verlust des Freundes grell und unerträglich gewesen.
    Er hatte Arnulf vieles zu verdanken, nicht zuletzt sein Leben.
    Jetzt schob er die Bilder von schwarzem Wasser und winkenden Knochen von sich. Vielleicht würde irgendwann einmal die Zeit kommen, da er Katharina auch davon – und von Cesare Vasari – erzählen konnte.
    Noch war diese Zeit nicht da.
    Katharina spürte Richards Blick auf sich ruhen und drehte sich zu ihm um. Er lächelte, und es sah sehr schüchtern und unsicher aus.
    Sie lächelte zurück.
    Er schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Als er wieder aufsah, war der traurige Ausdruck in seinen Augen fort.
    Später am Abend kehrte Katharina in ihr Haus neben der Druckerei zurück.
    »Kind, bist du das?« Mechthilds Stimme kam aus dem Raum, der ehemals Egberts Kontor gewesen war und ihrer Mutter jetzt als Schlafzimmer diente.
    »Ja!«, rief sie und nahm ihre Schaube ab. Einen Augenblick lang schaute sie darauf nieder, dann hängte sie sie an den Haken auf dem Flur. Ihren schwarzen Witwenschleier warf sie auf eine Truhe. Schließlich ging sie zu ihrer Mutter.
    Die hielt ein gefaltetes Schreiben mit einem amtlich aussehenden Siegel in der Hand. »Das wurde vorhin hier abgegeben«, sagte sie. Sie sah abgehärmt aus, ihre Augen waren rot gerändert, wie an jedem einzelnen Tag seit dem Tod ihres Mannes.
    Katharina nahm das Schreiben, aber sie öffnete es nicht. Stattdessen gestattete sie sich nun, an Bertram und seinen Tod zu denken. Sehr zur Erleichterung ihrer Mutter hatte der Stadtrat verfügt, dass der Henker wegen der Rolle, die er beim Kampf gegen Pömer gespielt hatte, wieder ehrbar gemacht wurde und ein christliches Begräbnis auf dem Kirchhof von St. Lorenz erhielt. Katharina vermutete, dass Mechthild sich an der Hoffnung aufrecht hielt, ihren Mann dereinst in der himmlischen Herrlichkeit wiederzusehen. Doch das lag einstweilen in weiter Ferne. Im Moment jedoch lächelte Mechthild tapfer und tat so, als könne sie es gar nicht erwarten, dass Katharina das Schreiben öffnete.
    Katharina tat ihr den Gefallen. Es war ein Brief vom Stadtrat. Katharina las ihn, dann ließ sie ihn sinken. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster, wo die Abendsonne ihre Strahlen über die Dachspitzen schickte.
    »Was wollen sie von dir?«, fragte Mechthild. Neugierig reckte sie den Hals, aber Katharina stand zu weit von ihr entfernt, als dass sie den Brief einsehen konnte.
    »Es ist ein Ratsentscheid.« Katharina hob das Schreiben wieder an und las vor: »... auf Antrag mehrerer Bürgermeister entscheidet der Rat von Nürnberg, Katharina Jacob, Witwe des ehrbaren Egbert Jacob, wegen ihrer Verdienste um das Wohl der Stadt für ihren unerlaubten Arzneihandel nicht zu bestrafen.«
    Mechthild klatschte in die Hände. »Das ist doch wunderbar!« Sie zögerte.
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