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Sepia

Sepia

Titel: Sepia
Autoren: Helga Schuetz
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hatte eine Verkäuferin gemeint, das sei ein guter Ersatz, eigentlich sogar besser, weil reiner und höher in den Prozenten, und mit dem Rest könne man das Kompott verfeinern. Aber die Bratzeit. Entweder hatte sich Helga verhört, sie behauptet, Torriani hätte von drei Viertelstündchen gesungen, oder es hatte an der ungarischen Gans selbst gelegen, die möglicherweise nicht mehr ganz jung war.
    Es ist ein roher, fast noch blutender Vogel, den Helga und Simon mit vereinter Kraft auseinanderreißen und servieren. Zum Verzehr nicht geeignet. Zäh und zuckersüß, riecht wie rosa Bonbons.
    Simon tröstet die Köchin, er küsst und umarmt sie, er zieht Eli gleichfalls aufmunternd an sein großes Herz. Es gibtSchlimmeres, sagt er. Zu Eli hatte er schon beim Aperitif, einem weißen Gothano, zum Trost gesagt: Glauben Sie mir, es kann nur besser werden!
    Helga tupft immer noch etwas enttäuscht mit dem Zeigefinger in der Himbeersoße herum.
    Simon, eigentlich bist du auch mit schuld, du hast die Sendung schließlich auch gesehen und Vico Torrianis Lied gehört, von der Ente oder der Gans in Curaçao.
    Eli stimmt zu. Mag sein, dass es Schlimmeres gibt, mag sein, dass es nur besser werden kann. Also sitzen wir irgendwo dazwischen.
    Bloß nicht in der Mitte, sagt Simon, in der Mitte steckt man fest.
    Also von der Peripherie her handeln, sagt Helga.
    Einen Film machen, sagt Simon.
    Über Laokoon, wie einer der Söhne davonkommt, aus dem kaputten Troja flieht, spinnt Eli.
    Und hilft, ein neues gemütliches Rom aufzubauen, haut Helga auf den Putz.
    Alles krass gegen den Willen der Götter, knallt Eli obendrauf.
    Weiber, ihr seid ja besoffen.
     
    Wenn’s schneit, ist es, als rieselten kostbare Aluminiumgroschen vom Himmel. Eli eilt beim kleinsten Schneetief zum Depot. Kratzen, was herunterfällt, und Sand streuen. Mit dem Lohn zahlt Eli Miete und anteilig Gas und Strom, damit kauft sie sich Bücher und neuerdings statt Milch schwarzen grusinischen oder chinesischen Tee. Meng Hai-Feng empfiehlt den Tee in der runden braunen Pappschachtel, der ist echt. So kämpft Eli gegen die ewige Müdigkeit. Heißer dunkelbrauner Tee gegen das Blei, das immer noch im Blut herumkriecht.
    Sie tourt nach Berlin, die übliche Strecke bis zum Pergamonmuseum.Sie trifft die alten Bekannten. Die Frau an der Garderobe. Den Herrn an der Tür, der die Aufsicht führt, nunmehr nicht nur über den Altar von Pergamon, sondern auch über den Folgeraum mit dem Markttor von Milet. Es fehlen überall Kräfte. Die Kalamität ist nicht kleiner geworden im vergangenen Jahr.
    Man sieht den Herrn und Eli bereits eine Stunde vor dem Publikumsverkehr an einem Tisch in der Museumskantine die Köpfe zusammenstecken. Palavern.
    Salzmann hat von zu Hause Bücher mitgebracht und private Aufzeichnungen.
    Eli ist sehr früh aufgestanden, um pünktlich zu sein. Es ist eine kostbare Stunde. Salzmann schlägt die Seiten auf, die er zu Hause mit Papierstreifen gekennzeichnet hat.
    Meine Vorstellungen, sagt er, aber bei weitem nichts Endgültiges. Vorsichtige Schritte und vorläufige. Man muss deutlich machen, wo man seinen Fuß am besten nicht hinsetzt, weil der Boden zu heiß oder zu heilig ist.
    Als er geht, um seinen Türsteherdienst anzutreten, hebt er die Hände, es sieht aus wie ein Segen. Gehab dich wohl, er überlässt Eli die Bücher und Mappen, teils mit Tinte gut leserlich, teils maschinengeschriebene Papiere.
    Wenn Sie fertig sind, bringen Sie die Sachen zu der Dame an der Garderobe. Wenn Sie Fragen haben, morgen, gleiche Zeit, gleiche Stelle, gleiche Welle.
     
    Es ist ein lateinisches Gedicht über Laokoon, über die Wiederentdeckung der Skulptur, um das große Erstaunen seinerzeit. Salzmann hat es übersetzt. In den Mappen liegen die Versuche mit vielen Anmerkungen. Eine vorläufig letzte Fassung.
    Eli macht sich Notizen. Sie eilt durch die Seiten. Sie liest noch einmal, glühend. Weil sie immer noch Ergänzungen zu Erikas Briefen und Goethes Texten und Frau Felbers Entdeckungenfindet. Und dann das Foto. Zwischen den Salzmann-Papieren in einer Mappe liegt es, das lange gesuchte. Ein guter matt glänzender Abzug in Schulheftformat. Der schönste Beweis. Endlich Laokoon mit dem richtigen rechten Arm. Dem bleibt nur der Tod und im Tode eine Aktion – die Rettung des Sohnes. Erst der richtige Arm kündet und erschließt diese Vatergeste.
    Mit dieser eigensinnigen Meinung ist Eli wahrscheinlich allein auf der Welt, niemand sonst hat die Geistesgegenwart des
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