Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann
Autoren: Clausia Puhlfürst
Vom Netzwerk:
unglaublich!«
    »Du hast recht. Aber es ist tatsächlich so. Nach einer Weile
muss eine andere Persönlichkeit aufgetaucht sein, hat deinen Kollegen Frank  – für sie einen völlig Fremden  – bemerkt, wie er sich über sie beugte und sie küssen wollte, und fühlte sich bedroht. Dann muss Matthias, der große starke Mann, auf der Bildfläche erschienen sein und ihn mit dem Messer angegriffen haben. Nachdem die ›Arbeit‹ erledigt war, ist er wieder verschwunden, und danach ist ein anderes Wesen nach vorn gekommen  – wahrscheinlich ein älteres Kind  –, hat das Blutbad gesehen, nicht gewusst, was passiert ist, und mich angerufen.«
    »Wenn du es so erklärst, klingt es ganz logisch.«
    »Aus der Sicht der Leute in Maria Sandmann ist es das auch.«
    »Dann hat sie sich nach dem Anruf im Schrank versteckt, weil gerade ein Kind ›draußen‹ war?«
    »Wahrscheinlich. Dieses Kind muss alles gehört haben, was wir in der Küche besprochen haben. Irgendwann kam dann jemand anderes hervor und bedrohte uns.«
    »Und als ich mit Ralf Schädlich telefoniert habe, ist sie geflohen und unten auf der Straße den beiden Polizisten in die Arme gelaufen …« Lara schaute erneut zu ihrem Handy. »Was geschieht denn nun mit ihr?«
    »Sie ist noch im Haftkrankenhaus, aber ich kann sie als ihr behandelnder Psychotherapeut besuchen. Trinken wir noch was?« Mark sah sich nach der Bedienung, einer hübschen jungen Frau mit raspelkurzen schwarzen Haaren, um.
    »Und dann? Kommt sie in eine geschlossene Anstalt?«
    »Das ist zwar nicht der exakte Begriff, aber möglich ist es. Wir müssen den Prozess abwarten. Ich bin ja nicht der Einzige, der sie begutachtet.« Die Kellnerin kam, und Mark bestellte zwei Cappuccino. Dann fuhr er fort. »Ich habe schon mit einigen Innenpersonen gesprochen. Es gibt noch mindestens sechs weitere, wahrscheinlich sind es sogar mehr. So eine Spaltung hat ihre Ursache fast immer in Missbrauchserlebnissen in früher Kindheit.«

    »Das habe ich in den Büchern auch gelesen.« Lara dachte an Truddi Chase und Billy Milligan. Beide gab es wirklich, und das, was sie in ihren Büchern über ihre Kindheitserlebnisse schilderten, war grausig.
    »Interessant ist, dass alle ihre Vornamen mit M beginnen. Maria, die sich selbst auch Mia nennt, obwohl sie nicht weiß, dass es in ihr noch ein Kind gleichen Namens gibt, kennst du ja. Maria ist die Alltagsperson, die Frau, die das tägliche Leben meistert. Sie hat allerdings die wenigsten Erinnerungen an das, was geschehen ist. Die anderen bedienen sich ihrer, treten in den Vordergrund, übernehmen sie und agieren dann ihre eigenen Vorstellungen aus. Matthias und Mandy  – seine kleine Schwester  – haben sich schon getroffen. Es war für beide seltsam, weil sie sich für Geschwister, also eigenständige Personen hielten. Jetzt tauschen sie sich über ihr bisheriges Leben aus, und Matthias berichtet Mandy bis ins Detail, wie er ihre Peiniger bestraft hat. Dann sind da zum Beispiel noch eine Melissa, eine Mary und eine Michaela.«
    »Aber gehen wir mal davon aus, dass die Person, die sich für Matthias hält, sich im Spiegel ansieht. Da hätte er doch sehen müssen, dass er eine Frau ist?« Lara hörte sich selbst beim Sprechen zu und fand, dass es sich anhörte, als sei sie selbst nicht ganz klar im Kopf. Sie musste lächeln.
    Mark lächelte auch. »So läuft das nicht, Lara. Er sieht natürlich einen Mann.«
    »Das ist schwer zu verstehen.«
    »Das ist es, aber besser kann ich es dir auch nicht erklären. Matthias ist der Beschützer der inneren Kinder; der Rächer, er hat die Erzieher ›bestraft‹. Er erinnert sich nicht genau, wie alt er gewesen ist, als er ins Heim kam, nimmt aber an, dass er etwa acht Jahre alt war. Das ist jedenfalls der Zeitpunkt, als er zum ersten Mal auftauchte, weil man ihn brauchte. Die Personen entstehen ja nicht alle zur gleichen Zeit, sondern spalten sich immer erst dann ab, wenn sie von den anderen oder der Hauptperson
gebraucht werden. In Wirklichkeit kam die kleine Mia aber schon mit zwei ins Heim, also 1971, und sie blieb bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag 1987.«
    »Eine ungeheuer lange Zeit… Warum ist sie denn überhaupt dorthin gekommen?«
    »Das wissen wir noch nicht. Die Akten sind unauffindbar. Aber auch das werden wir mit Sicherheit noch herausfinden.«
    »Und glaubst du, die Ereignisse, an die Matthias und die anderen sich erinnern, haben wirklich stattgefunden?« Lara betrachtete den Aufdruck auf dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher