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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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Als ich endlich einparke, schaut er betont hilfreich nach hinten und sagt: „Wenn’s knallt, noch’n Meter“, um dann auszusteigen und mir zuzurufen: „Den Rest bis zum Bordstein gehen wir zu Fuß.“
    Unseren Hausmeister, Hans Bronner, begrüßt er mit den Worten: „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans?“, als der, wie immer hinkend, durch die Halle kommt. Im Fahrstuhl sagt er: „Der hat heut’ morgen auch wieder vor dem Spiegel gestanden und gesagt: ,Den kenn’ ich nicht, den wasch’ ich nicht.’“
    Ins Vorzimmer tritt er mit dem Refrain des Liedes „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da“, begrüßt die Sekretärin Frau Witzig mit „Hallo Trauerkloß, schon Käffchen bereitet?“ und fügt wie jeden Morgen seine James Bond abgeschaute Vorstellungszeremonie „Kaulbach, Günter Kaulbach“ hinzu. Das allgemeine Zusammensacken, mit dem jeder, der ihn kennt, sein Auftauchen quittiert, nimmt er als Beifall, denn er weiß, daß er gut ist.
    „Ach ja, Donnikowsky, hätt’ ich fast vergessen“, sagt er und geht zur Kaffeekasse: „Zahlemann und Söhne.“
    „Apropos Trauerkloß“, höre ich ihn ansetzen, als ich die Tür hinter mir schließe, „kennen Sie den? Kommt’n Mann zum Arzt …“
    Auf der Treppe nach oben glaube ich nun doch das weit entfernte Geräusch eines Pistolenschusses zu hören. Kann das sein? Eigentlich nicht. Von der Bergemannstraße bis hier sind es fast zwei Kilometer. Aber weiß man, was in den Menschen steckt? Vielleicht gibt es eine Reserve an Fähigkeiten. Für Härtefälle. Vielleicht hab’ ich für diesen einen Härtefall Teleskop-Ohren und höre einen Schuß, diesen einen, einzigen Schuß, von der Bergemannstraße bis hier.
    Wenn es stimmt, dann ist es jedenfalls traurig. So mausetot seine Frau auch sein mag, sie hat auf jeden Fall danebengeschossen. Auf ihrem Abschiedsbrief steht vermutlich: „Tschüssikowsky“. Und vielleicht noch der Zusatz: „Und Söhne“.

Koordination und schlechte Luft
    Der anspruchsvolle Musikhörer

    Daß sich ein startendes Cabrio, gleich welcher Marke, mit Sibelius nicht verträgt, war von vornherein klar. Und damit war das Eckzimmer zur Straße schon mal gleich raus aus den Möglichkeiten. Das andere, im Plan unter „Kind Zwei“ geführte, geht zum Eiscafe und schied auch sofort aus, denn die Preziosen von Bartók oder der heilige Glenn Gould können nicht gleichzeitig mit „Maledetta Primavera“ oder „Azurro“ genossen werden. Thermopane hin oder her. Blieb noch das als Schlafzimmer konzipierte Kabuff, das zum Innenhof rausgeht, für die audiophile Anlage übrig. Leider war das etwas zu klein. Aber mit einiger Raffinesse, kleineren Boxen und einem Subwoofer, direkt unter dem Regal mit den Partituren, war dieses Problem in den Griff zu kriegen. Natürlich kosteten die kleineren Boxen das Doppelte der alten, die ich wiederum nur zu einem Drittel ihres Wertes verkauft bekam. Den Subwoofer hab’ ich mir allerdings schon lang gewünscht, und wie heißt es so schön im Volksmund? „Dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt.“ Stimmt. Im neuen Volvo muß es jedenfalls die alte Anlage noch ein Weilchen tun.
    Dieses Zimmer nun ist nicht nur klein, sondern hat auch noch den Nachteil, direkt ans Dach zu grenzen . Jetzt kommt die Katze von oben jeden zweiten Tag, um Jagd auf den lustigen Tonarm zu machen. Man müßte das ignorante Vieh nur einmal hochkant aus dem Fenster schmeißen. Dann wär’ Ruhe. Macht einer Katze ja gar nichts aus. Die können ja aus dem fünften Stock fallen und quietschfidel weiterspielen . Aber ich bring’ das nicht übers Herz. Wer Musik liebt, liebt auch Katzen. Das ist nun mal so. Bleibt also nur, das Fenster auch im Hochsommer geschlossen zu halten und sich schwitzend und bei schlechter Luft in die Klänge der Maestri zu versenken.
    Aber sonst ist diese Kleinstadt schön. Eine echte Idylle, in der es sich nicht jeder leisten kann zu wohnen. Der mittelalterliche Stadtkern ist schön restauriert , die Sparkasse macht anspruchsvolle Ausstellungen und im Sommer wird die Burg bis zwölf Uhr nachts beleuchtet. Auch die Einwohner sind angenehm. Schon zwei Wochen nach dem Einzug grüßten mich die Ladenbesitzer mit Namen, bald hatte man meine Zigarettensorte vorrätig und diesen zwanzigjährigen Whisky am Lager. Die überregionale Tageszeitung liegt für mich bereit, wenn ich den Laden betrete und der Buchhändler weiß mittlerweile, was ein Libretto ist. So schön und so beliebt ist die
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