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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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von der Stundenplankommission vergüten ließ. War mit ihnen im Kino, hab’ versucht, mit ihnen Dario Fo zu lesen. Ach, was soll’s.
    Das Blöde ist nur, die Ablaugerei, die ich derzeit mit zwei Ex-Kollegen betreibe, fängt an, unter der Ikea-Mode zu leiden. Ausgerechnet Ikea. Das war mal der Inbegriff des ehrlichen Wohnens. Plötzlich wollen die Leute bloß noch Lack. Kein Naturholz mehr. Die Kneipe auf Kreta kann man inzwischen auch vergessen. Hätte man früher anleiern müssen. Jetzt läuft da nichts mehr. Obernichts. Sich in den touristischen Wahnsinn einzuklinken, ist eh nicht mehr vertretbar. Auch und gerade im alternativen Bereich. Aber seit Moni mit ihrem Gestalt-Therapeuten „ernsthaft eine Beziehung in Betracht zieht“, hab’ ich eh keine Lust mehr.
    Eigentlich fast schade, das mit Moni. Sie ist total unfähig, Konflikte produktiv auszutragen. Wechselt lieber den Standort als den Standpunkt. Zieht lieber um, als mal so richtig vom Leder. Unreif. Aber kein Wunder bei der Familie, aus der sie kommt. Mutter höhere Tochter, Vater Berufsoffizier, halten sich für was Besseres und versuchen, das der Tochter noch heute einzureden. Dabei hat sich Moni so toll auf meinen Sohn eingelassen. Richtig dicke Tunke war das mit den beiden. Hab’ ich mir übrigens gleich gedacht, daß dieser Gestalt-Schmierlappen sich mit seinen Flamenco-Koteletten bei ihr einbaggern würde.
    „Paranoia“ hat sie gesagt, und sie könne nicht atmen, wenn ich sie dauernd mit meiner ödipalen Verlustangst bedrohe. Hätte mich die Umweltinitiative nicht dermaßen psychisch aufgefangen, dann wär’ ich womöglich jetzt noch nicht drüber weg.
    Ein Fahrradladen wär’ ‘ne Möglichkeit. Könnte Pedalix heißen, oder Speichenkollektiv. Der Fahrradboom ist jedenfalls ungebrochen, und die umweltpolitische Relevanz ist über jeden Zweifel erhaben. Da kann der Spiegel noch so viele Pamphlete über die Schädlichkeit der Mountain-Bikes bringen, Abgase produzieren sie jedenfalls nicht. Es sei denn, der Fahrer ißt Bohnen. Allerdings bräuchte man Startkapital, und mit Gerd und Holger ist sowas nicht zu machen. Ist ihnen nicht „Bio“ genug.
    Aber apropos: Wieso keine Gärtnerei?
    Müßte man nur das Demeter-Siegel kriegen. Einen Pleite-Hof aufzutreiben kann derzeit nicht schwer sein. Vielleicht sogar noch als viehwirtschaftlichen Betrieb übernehmen und dann die Flächenstillegungs-Knete kassieren. Muß ich unbedingt mal mit den beiden besprechen.
    Allerdings, die Zeit ist knapp. Im Januar läuft meine Beurlaubung ab, und ob das Oberschulamt nochmal vier Jahre raustut, ist fraglich. Das System läßt einen nicht so schnell aus den Krallen. Bis Januar ist noch ein Dreivierteljahr. In der Zeit kriegst du keinen Hof gekauft, keine Subvention abgegriffen und keine Gärtnerei mit Demeter-Siegel aufgebaut. Geschweige denn amortisiert.
    I would trade all my tomorrows for a single yesterday, hol… Jetzt gibt der Scheiß-Recorder auch noch den Geist auf.

Kein Kind von Traurigkeit
    Der mit den Sprüchen

    „Tschüssikowsky“, ruft er in den Hausgang und ich erwarte fast, einen Knall zu hören. Seit Wochen gefällt mir der Gedanke, dieses Tschüssikowsky wäre der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt, wäre das ein-, zwei- oder dreitausendste Tschüssikowsky aus seinem immer fröhlichen Mund, und genau dieses Tschüssikowsky warte seine Frau ab, um sich zu erschießen. Aber ich höre keinen Knall. Er knallt sogar nicht mal die Tür meines Wagens zu, denn inzwischen kennt er sich mit Mercedestüren aus. „Hallöchen“, sagt er, „ab geht die Post mit dem guten Stern auf allen Straßen.“
    Daß er die Tür nicht knallt, könnte allerdings auch daran liegen, daß er gestern abend seiner Oma ihr klein Häuschen versoffen hat und nun seinem Kopf zuliebe mit Geräuschen und Bewegung spart. Wenn er doch nur auch sparen wollte mit dem, was er Humor nennt.
    Seit ihm die „Freunde und Helfer“ den Führerschein abgenommen haben, wegen „Zivilcourage im Sinne Kennedys“, wie er es ausdrückt, fährt er mit mir zur Arbeit. Jeden Morgen. Mit „Zivilcourage im Sinne Kennedys“ meint er übrigens das Fahren auf einer Einbahnstraße in Gegenrichtung über zwei rote Ampeln mit zwei komma zwei Promille. Er haut auf meine Hupe, als vor uns ein Fahrer mit Hut (tut selten gut) die Geschwindigkeitsbegrenzung einhält und kurbelt das Fenster runter, um einer neben uns stehenden Frau am Steuer (das wird teuer ) seine scheinheiligen Honneurs zu machen.
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