Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
kommt und wieviele böse Computer man braucht, um all die guten Umwelt- und Soziologiestatistiken auszurechnen, aus denen man erst erfährt, wie böse die Computer sind? Mit welchem Transportmittel der Bio-Bauer seine Demeterfuhre auf den Markt bringt? Diesel? Weißt du was? Blas mir doch in’ Schuh mit deinem ganzen systemkonformen Optimismus-Scheiß. Du bist doch ein Roboter, den man darauf programmiert hat, sich für einen lebendigen Menschen zu halten. Denken nennst du das? Du wirst noch’n paar Inkarnationen brauchen, bis du weißt, was Denken ist. Ganzheitlich denken, mein ich, nicht so eingleisig und strahlemannmäßig. Ja ja, du mich auch.

Inst-Allah
    Der mit dem Avantgarde-Problem

    Eine Freundin meiner Frau hat bei sich zuhause über vierhundert Kunstbücher, Ausstellungskataloge und Bildmonografien. Ich interessiere mich sehr für Kunst, und meine Frau interessiert sich sehr dafür, sich dafür zu interessieren. Das heißt, sie findet es toll, wenn man sich für Kunst interessiert. Komischerweise allerdings findet sie es nicht toll, daß ich mich dafür interessiere, es imponiert ihr nur bei anderen. Was zog sie damals für ein Gesicht, als ich mit ihr in die Staatsgalerie wollte. Sie ging mit und schnaufte bei Bacon: Eklig, sagte sie, widerlich, wieso malt man sowas, und bei Pollock, den ich selbst nicht besonders mag, sagte sie, das nähme sie nicht mal als Tapete, geschweige denn als Bild ernst. Dali, Van Gogh und Gaugin waren dann die Maler, auf die wir uns einigen konnten. Aber leuchtende Augen bekam sie erst wieder in der Calwer Passage bei Rodier, Hermes, Cartier und Lagerfeld. Das waren die Signaturen, für die sie sich begeistern konnte.
    Schön, dachte ich also, als sie mir von ihrer neuen Freundin erzählte, und ging mit. Kunstbücher sammelt sie, ist ja toll, und dann sind wir da, ich liefere meinen Blumenstrauß ab, und von der ersten Minute an merke ich, daß ich Luft bin. Ein paar Stichworte darf ich loswerden, das ist alles. Wenn ich einen Blick von dieser Freundin auffange, dann ähnelt der dem eines Biologen, der vom Versuchskaninchen jetzt endlich wissen will, ob die Enthaarungscreme Nebenwirkungen hat oder nicht. Tödliche Nebenwirkungen, versteht sich. Auf deutsch: Dieser Blick sagt jedesmal kurz und bündig: Wieso bist du nicht tot?
    Meine Frau amüsiert sich prächtig, die Gesprächsthemen gehen nicht aus. Ob die Freundin die Fotos im Zeitmagazin gesehen habe von den Inseln, die Christo verpackt hat? Und ob die Freundin eine Art Schaudern verspürt habe, als sie bei der Documenta vor dem vertikalen Erdkilometer stand? Sie, meine Frau, stelle sich nämlich eine Art Schauder vor bei dem Gedanken, daß da ein kilometertiefes Loch in die Erde reingehe. Und wie die Bäume von Beuys auf sie, die Freundin, gewirkt hätten? Ja genau, eine Art Schauder sei es gewesen, sie, die Freundin, hätte das selber jetzt gar nicht so ausdrücken können: genau, eine Art Schauder. Oder so was wie ein Frieren, und die Bäume von Beuys …
    „Geht mir auch so“, schalte ich mich ein, „beim Gedanken an einen fünfmarkgroßen Abgrund. Doch. Schaudert’s mich echt. Vielleicht waren die einzigen, die es nicht geschaudert hat, der Besitzer der Bohrfirma und seine nervösen Kreditgeber.“
    Bist du überhaupt ein Kaninchen, sagt ihr Blick, oder warum wirkt die Creme nicht? Und der Blick meiner Frau sagt, ich nehm’ dich nie wieder mit. Ich widme mich dem Rioja, den mir die Freundin, soweit wenigstens höflich, nachschenkt und halte mich dem weiteren Gespräch dadurch fern, daß ich mir einen Bildband aus dem Regal hole, den ich intensiv studiere. Das heißt, ich will, aber es ist unmöglich, denn ich höre zu. Die Freundin sagt gerade: „Also Jackson Pollock find’ ich ganz toll.“ Und meine Frau sagt: „Jaah Pollock, oh ja.“ Die Freundin sagt: „Er ist fast schon informel“. „Fand ich auch“, sagt meine Frau. Die Freundin erzählt von vier Steinquadern in einem Raum, die wahnsinnig intensiv gewesen seien, von einigen Stecken, die, schief an die Wand eines anderen Raumes gelehnt, so etwas Melancholisches gehabt hätten, und von einer begehbaren Raumplastik aus Metallscheiben, und weil die rostig gewesen seien, habe man so richtig die Dimension Zeit gespürt.
    „Im Raum“, murmle ich, kaschiere aber den Ausspruch sofort mit einem nachgereichten Hüsteln, obwohl das nicht nötig war, denn die Freundin scheint diese Bemerkung ausnahmsweise für klug zu halten. „Im Raum“, sagt sie, „Zeit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher