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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Autoren: Raphael M. Bonelli
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das verschwindend kleine Minderheiten, krankhafte Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Denn die Regel ist, so überraschend das in einem Psychobuch vielleicht klingen mag: Normalerweise hat man Schuldgefühle, weil man schuldig geworden ist. Man hat sich für das Schlechte entschieden, obwohl man das Gute hätte tun können. Dieses Phänomen – die retrospektive moralische Selbstbeurteilung – ist ein Akt des Gewissens, das jedem Menschen eigen ist. Dieser Mechanismus ist überdies kulturübergreifend zu beobachten. Er sollte vom Psychiater weder generiert noch abgeschafft werden. Denn das Schuldgefühl ist an sich weder Therapie noch Krankheit.
FALL 4: Der Psychiater wird zu einem Mann mit »akuten Depressionen« auf die Unfallchirurgie gerufen. Der Mann ist lange Zeit wortlos, dann erzählt er, dass er am Vortag bei einem von ihm verursachten Verkehrsunfall seinen 7-jährigen Sohn verloren habe. Er sei während der Fahrt wütend auf ihn gewesen, weil der Sohn ihn habe warten lassen. Deshalb sei er voller Wut mit überhöhter Geschwindigkeit bei regennasser Fahrbahn in die Kurve gefahren, habe die Kontrolle verloren, und das Auto habe sich ohne Fremdeinwirkung überschlagen. Die Polizei habe ihn lange verhört. Er habe seine ganze Schuld zugegeben. Sie sollen ihn ruhig bestrafen! Als Therapeut kann man da nur schweigend zuhören und mit ihm trauern. Diese authentische Selbstanklage darf man nicht mit billigen Psycho-Sprüchen relativieren.

ANALYSE : Der Patient hat Schuldgefühle, weil er – nach seiner eigenen Einschätzung – fahrlässig gehandelt hat. Jede Relativierung der Selbstanklage wäre zu diesem Zeitpunkt kontraproduktiv, ebenso aber auch ein Verstärken des vorhandenen Schuldbewusstseins. Das gemeinsame Trauern über die sich selbst eingestandene Schuld ist die Form des Respekts vor der Würde des Patienten.
    Das Erleben persönlicher Schuld ist kein bloßes Gefühl – es hat aber häufig ein Gefühl zur Folge, wenn das Gewissen noch intakt ist. Die Einsicht in die eigenen Fehler und schuldvollen Handlungen ist ein Erkenntnisakt mit emotionaler Begleitmusik. Diese Musik nennt man Schuldgefühle. Es ist völlig normal und alltäglich, schuldig zu werden. Da der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, ist sein Leben gekennzeichnet von Unrecht erleiden und Unrecht tun. Im Regelfall hält sich das bei den meisten Menschen die Waage. Das erlittene Unrecht wird heute aber, so scheint es, sensibler als je zuvor wahrgenommen und dramatisch aufgeblasen, das begangene Unrecht hingegen tendenziell verdrängt. Dadurch entwickelt sich ein Ungleichgewicht, das psychologisch ungesund ist und letztlich unfrei macht.
    Die Einsicht in eigene Schuldhaftigkeit setzt eine Grundbereitschaft zur Selbsterkenntnis voraus, die man Realismus, Bescheidenheit oder auch Demut nennen könnte. Demut bedeutet in diesem Zusammenhang, sich selbst zu sehen, wie es der Wirklichkeit entspricht. Die Korrektur des Selbstbildes befreit aus vielerlei Ängsten. Dem Psychotherapeuten steht, wie bereits klargestellt, das Urteil über Gut und Böse nicht zu, weil er keine richterliche, sondern eine therapeutische Funktion hat. Das bedeutet aber nicht, dass im menschlichen Leben keine moralische Dimension existiert. Analog dazu ist der Therapeut nicht zuständig dafür, ob etwas der Wahrheit entspricht oder nicht – trotzdem tut die Wahrheit dem Patienten auf lange Sicht erwiesenermaßen besser als der Selbstbetrug.
FALL 5: Die 39-jährige, ledige Lehrerin Herta F. kommt in Therapie, weil sie sich ihre Vergangenheit »anschauen« möchte. Dabei falle ihr vor allem auf, dass sie beim Thema Sexualität immer Schuldgefühle habe, da wisse sie eigentlich nicht, warum. Sie verabscheue Männer und insbesondere ihren Schwager, denn der wolle von ihrer Schwester »nur das eine«. Wenn sie sich nur vorstelle, was der von ihrer Schwester alles verlange! Das könne sie zwar nicht belegen, aber als Frau merke sie das schon, das könne ihr der Psychiater ruhig glauben.
Welche Erfahrungen sie selbst mit Sexualität gemacht habe? Nur schlechte. Sie habe einen gleichaltrigen Freund gehabt (Andreas), als sie 20 Jahre alt gewesen sei, und der habe sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Zwei Jahre lang seien sie zusammen gewesen, und eineinhalb Jahre habe das Martyrium gewährt. Danach habe sie nie mehr einen Mann angeschaut. Warum sie sich damals nicht verweigert habe? Das sei nicht gegangen. Ob es nicht ab und zu auch schön gewesen sei? Die Patientin wird
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