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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Autoren: Raphael M. Bonelli
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auch solche Ausnahmeerscheinungen. Aber das sind Raritäten, von denen sich Psychiater am Stammtisch erzählen – freilich anonymisiert, keine Angst! Die Freudschen Fälle sind in Wirklichkeit fast ausgestorben. Es ist, besonders durch die Bemühungen der 68er-Bewegung, bei der Sexualität das moralische Sollen auf ein Minimum heruntergeschraubt worden. Dafür finden wir in den psychiatrischen Praxen eine Reihe von neuen Störungen in der Sexualität, insbesondere sexuelle Unlust, Frigidität und Impotenz aufgrund des erhöhten Leistungsdrucks – aber wie gesagt keine Sexualverdrängung mehr.
    Freud beschreibt aber auch meisterhaft, dass das Verdrängte es gerne dunkel hat und keinesfalls zurück in den Scheinwerferkegel des Bewusstseins treten möchte: »Wenn man in der Therapie versucht, diese verdrängenden Regungen bewusst zu machen, bekommt man die … Kräfte als Widerstand zu spüren.« In der Tat: die Konfrontation mit der eigenen, verdrängten Schuld provoziert einen Widerstand, der von paralogischen Erklärungsversuchen bis zur Abwehraggression reicht. Je größer die Angst vor Schulderkenntnis, umso aggressiver die Abwehr. Die Schuldverdrängung wiederum paralysiert die Fähigkeit zur Selbstkritik und führt zur Skrupellosigkeit. Sie führt zu einer wachsenden Selbstentfremdung, verhindert persönliche Weiterentwicklung und reduziert den eigenen Handlungsspielraum, indem der nunmehr unbewusste innere Konflikt handlungsrelevant wird – insbesondere in der Abwehraggression. Anders formuliert: Handeln aus verdrängtem schlechtem Gewissen ist besonders irrational und für die anderen leichter durchschaubar als für den Betroffenen.
FALL 2: Der Psychiater hat als Gerichtsgutachter eine skurrile Begegnung: Er muss einen 16-jährigen Jugendlichen neurologisch begutachten, der aus Frust nächtens in einer dunklen Gasse 20 Autospiegel abgetreten hat. Der kleine Rowdy begrüßt den Arzt mit den Worten: »Ich sag’s Ihnen, ich werde die alle anzeigen, denn ich hab mir den Fuß verletzt, als ich auf die Autospiegel trat. Das kommt die teuer zu stehen!«

ANALYSE: Keine Frage, dass der junge Vandale wahrscheinlich eher einfach gestrickt ist. Aber gerade deswegen kommt hier plakativ heraus, dass man die eigene Schuld vollständig wegblenden kann und dass die konsekutive Fremdbeschuldigung – »Angriff ist die beste Verteidigung« – für Außenstehende ungewollt komisch wirkt.
    Schuldbewältigung in der Straßenbahn
    Fehler machen gehört – wie bereits erwähnt – zum menschlichen Alltag. Man wird an uns schuldig – und wir werden an anderen schuldig. Pausenlos. Das gesellschaftliche Zusammenleben hat im Laufe der Zeit eine Intervention entwickelt, die diesen allzu menschlichen Defekt entschärft und so den halbwegs friedlichen Umgang untereinander sicherstellt: das Entschuldigen. Dabei geht es nicht nur um gewollte Bosheiten, die entschärft werden müssen, sondern zunächst einmal um entstandenen Schaden. Der Selbstanspruch auf Fehlerlosigkeit verkompliziert das menschliche Zusammenleben, weil auf diese einfache Intervention nicht mehr zurückgegriffen werden kann. Machen wir eine gedankliche Turnübung: Stellen Sie sich bitte vor, Sie treten Ihrem Nachbarn in der überfüllten Straßenbahn auf die Füße. Das kann ja passieren. In allen Kulturen, die Straßenbahnen hervorgebracht haben, hat es sich eingebürgert, dass man sich nach einem solchen Vorfall kurz entschuldigt. Damit ist im Regelfall die Dissonanz zwischen Ihnen und Ihrem Opfer schon wieder geglättet. Wenn Sie sich aber nicht entschuldigen – weil Ihnen das peinlich ist oder weil Sie gerade ins Gespräch mit einer attraktiven Blondine vertieft sind oder weil Ihnen das SMS-Schreiben wichtiger ist oder weil Ihnen nie ein Fehltritt passiert, da Sie zur Gattung der fehlerlosen Perfekten gehören – dann bleibt doch etwas Unangenehmes zwischen Ihnen und dem Getretenen in der Luft.
    Entweder Sie tun weiter so, als sei nichts gewesen – das wäre letztlich eine Lüge, die jeder durchschaut, denn die von Ihrem Schuhwerk malträtierten Zehen schmerzen ganz real. Oder Sie gehen gar in die Offensive und herrschen das Opfer an: »Machen Sie doch Platz, Sie sind nicht der Einzige in der Straßenbahn!« Damit kaschieren Sie Ihren Fehltritt. Angriff ist bekanntlich die beste Verteidigung. Dann könnte – je nach Temperament Ihres Opfers – ein wilder Streit entbrennen (Choleriker), Sie könnten Zusatzstunden beim Psychotherapeuten
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