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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Autoren: Raphael M. Bonelli
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verursachen (Melancholiker), es könnte gar nichts passieren (Phlegmatiker) oder ein schlagfertiges Witzchen zurückkommen, bei dem die ganze Straßenbahn über Sie lacht (Sanguiniker). Mit dem kleinen Wörtchen »Verzeihung!« können Sie das alles vermeiden.
    Es gibt nun einerseits ein Zuviel an Schuldgefühlen: Wenn Sie in der Straßenbahn einen Empathieanfall erleiden und dem Herrn ungebremst versichern würden, wie gut Sie sich jetzt in ihn hineinversetzen könnten, dass Sie zutiefst bereuen, seine Privatsphäre verletzt zu haben, dass er jetzt unbedingt jemanden brauche, mit dem er diese traumatisierende Schmerzerfahrung aufarbeiten könne, ob er da eh jemanden habe … Das wäre auch kein erfolgversprechendes Ausstiegsszenario, Sie würden Ihrem Opfer irgendwann kräftig auf die Nerven gehen.
    Das andere Extrem wäre nun andererseits ein Zuviel an Selbstempathie: Sie erkennen blitzschnell »Ich konnte ja gar nicht anders«. Diese Feststellung untermauern Sie innerlich mit dem Hinweis auf die wirklich sehr enge Straßenbahn, die wirklich vielen Leute, die richtig großen Füße des anderen und dass der Herr auch wirklich blöd und provokant herumgestanden sei. Die Straßenbahn habe auch wirklich sehr wild geruckelt, eigentlich sollte die sich entschuldigen, und so weh tue das dann auch wieder nicht – da hätten Sie persönlich schon ganz anderes erlebt! Diese Wiener Linien, die in der Stoßzeit so wenige Züge auf die Gleise stellen würden! Derweil hätten Sie so viel für die Jahreskarte bezahlt! Und der Fahrer müsse auch nicht so abrupt abbremsen – habe den Führerschein wohl in der Lotterie gewonnen. Und der Verkehr: dass die Stadtverwaltung bis heute keine Lösung für so ein banales Problem habe? Es geht jetzt in erster Linie darum, wie es Ihnen geht, dass Sie Ihre Schuldgefühle in den Griff bekommen. Denn die stören nur, die gehören da nicht her. Wenn Sie dann statt einer Entschuldigung das Gespräch mit dem Opfer suchen und ihm einmal mitteilen würden (im Sinne eines »Sharings«)«, wie es Ihnen eigentlich so damit gehe, sich jetzt sogar als Täter fühlen zu sollen, dass Ihnen da jetzt von den gesellschaftlichen Konventionen ein schlechtes Gewissen gemacht werde wegen einer Lappalie, und ihm dann die acht erarbeiteten Erkenntnisse möglichst authentisch vermittelten – ich garantiere Ihnen, auch das käme nicht gut an! Da haben Sie reflexartig mindestens fünf Täter gefunden: den Mann mit den großen Füßen, die Straßenbahn, die Wiener Linien, den Fahrer, die Stadtverwaltung.
    Machen wir noch eine zweite, ganz ähnliche Turnübung: Steigen wir in dieselbe Straßenbahn. Zufällig steht da wieder so ein Herr. Diesmal ist das aber der Typ, der Ihnen vor einem Monat die Freundin ausgespannt hat. Und der hat Sie noch dazu erst gestern ganz gemein angegrinst! Sie wittern die Chance zur Revanche, pirschen sich an, bleiben unentdeckt, warten den nächsten Stoß der ruckelnden Straßenbahn ab und »hoppla« – passiert es leider. Erschrocken drehen Sie sich um und sagen: »Oh, Entschuldigung, das tut mir jetzt aber sehr leid.« Jetzt haben wir die Dimension der Bosheit bei der äußerlich gleichen Tat. Der Mann versteht sofort und flüstert mit schmerzverzerrtem Gesicht ein Wort, das in diesem Buch nicht wiedergegeben werden kann.
    Sie haben sich »entschuldigt«, aber das gilt natürlich nicht. Im ersten Moment sind Sie richtig befriedigt und mächtig stolz. Sie erzählen das gleich Ihrem Freund, der auch Ihre Schmach mitbekommen hat, und fühlen sich einfach gut. Aber irgendwann beginnen dann Gewissensbisse. Je nachdem, wie gewissenhaft Sie sind, früher oder später. Lästig. Und lächerlich! Das hat der Typ ja wirklich verdient! Die Gewissensbisse lassen sich nicht abschütteln, nach einer kurzen Beruhigung werden sie sogar stärker. Wieder reden Sie sich ein, Sie hätten wirklich nicht anders gekonnt. Damit geben Sie sich auch eine Zeitlang zufrieden. Sie sind ja schließlich das Opfer, denn wer, bitte schön, hat denn seine Freundin verloren? Und dass sich Opfer auch manchmal wehren, müsse doch wohl erlaubt sein, oder? Der vergnüge sich da mit Ihrer Freundin, die in Wirklichkeit nur Sie liebe. Sie ereifern sich.
    Jetzt müssen Sie sich entscheiden: Entweder Sie schmollen jetzt ein Leben lang und reden sich trotzig ein, dass das Notwehr war – oder Sie müssen sich wirklich entschuldigen. Das geht aber anders. Die Entschuldigung, die angenommen werden kann, ist eine Enthüllung der
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