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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
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auch jedes gute und schlechte Omen auf die Goldwaage.
    »Glaub mir, es ist Schicksal. Wir beide müssen zusammen heiraten.«
    Gut, dass ich nicht so sehr an Schicksal glaubte wie Tina, denn dann wäre Özlems Scheidung definitiv ein schlechtes Omen gewesen. Aber so fand ich Tinas Idee doch nicht so schlecht wie befürchtet. Sie war im Gegenteil sogar ideal für eine Hochzeitsphobikerin wie mich. Ich musste die Last der Hochzeit nicht allein tragen, stand nicht allein im Mittelpunkt der Feier und konnte jederzeit Tina vorschicken, wenn es darum ging, bei irgendwelchen albernen Hochzeitsspielchen mitzumachen. Ich konnte mich an sie festketten, wenn ich befürchtete, plötzliche Fluchtgedanken zu bekommen, sie konnte meine Hand führen, wenn ich die obligatorische Unterschrift leisten musste und meine Finger zu sehr zitterten, sie konnte mir notfalls an der richtigen Stelle sogar das Ja soufflieren, wenn ich einen totalen Blackout hatte. Sie war die perfekte Hochzeitssitterin für mich, deswegen nahm ich ihren Vorschlag, der ohnehin nicht als Vorschlag, sondern vielmehr als beschlossene Tatsache gedacht war, schließlich doch an.
    »Also gut, dann machen wir eine Doppelhochzeit.«
    Tina umarmte mich aufgeregt und schrie völlig unangebracht: »Das wird die schönste Hochzeit, die wir jemals hatten.« Ich wollte sie daran erinnern, dass es für mich die erste war, und ich auch nicht vorhatte, den Vorgang mehrmals zu wiederholen. Aber stattdessen erinnerte Tina mich an etwas ganz anderes: »Jetzt müssen wir nur noch zusehen, dass wir dich in drei Wochen hochzeitsfertig kriegen!«
    »Unsere Hochzeit ist in drei Wochen!?«
    »Natürlich, Schätzchen, oder hast du meine Einladung nicht gelesen?«
    »Doch, sicher«, log ich und befand mich schon mitten in der ersten großen Hochzeitspanik.

    Hannes hatte nichts gegen eine Hochzeit in drei Wochen. Er stand sowieso eher auf die spontane, unkomplizierte Variante, lud drei Freunde, seinen Bruder und seine Mutter ein, ließ sich einen klassischen schwarzen Anzug maßschneidern und war froh, dass Tina uns bereits alles Organisatorische abgenommen hatte. Er hätte auch schon nach drei Tagen heiraten können, während ich von einer Krise in die nächste schlitterte. Die »Wen lade ich ein-Krise« verlief noch relativ harmlos, da Tina und ich uns viele Bekannte teilten, die ohnehin bereits eingeladen waren. Meine Exfreunde ließ ich nach Tinas dringlichem Rat lieber außen vor, und von meiner Verwandtschaft kamen nur noch die Wenigen in Frage, die sich noch nicht von mir und meiner verrückten Familie distanziert hatten. Die »Was ziehe ich um Gottes willen an-Krise« brachte dagegen sogar Tina fast an den Rand des Wahnsinns. Klassisch weiß war fehl am Platz und stand mir noch dazu überhaupt nicht. In feierlichen Abendkleidern kam ich mir immer vor wie ein C-Promi auf dem roten Teppich, der sich in solchen Roben nicht ordentlich bewegen konnte. Und Hosenanzug ging laut Tina schon mal gar nicht. Nachdem ich zwei Wochen lang von ihr fast täglich durch ein neues Geschäft gezerrt worden war, hatte ich mich schon damit abgefunden, in Jeans und T-Shirt zu heiraten. Da entdeckte ich auf dem Flohmarkt bei der Suche nach einem Hochzeitsgeschenk für Hannes doch noch das perfekte Kleid. Es war samtig-grün und passte gut zu meinen roten Haaren, außerdem war es schlicht, so dass ich nicht über diverse Rüschen stolperte, und saß wie angegossen. Ich erzählte Tina, dass ich es mir nach einer Vorlage aus einem ihrer unzähligen Kataloge hatte schneidern lassen, und sie gab sich damit zufrieden. Das Hochzeitsgeschenk für Hannes, die »Spiegel«-Ausgabe seines Geburtsjahres, bestellte ich schließlich im Internet.
    Die letzte Krise blieb unbewältigt. Es war die »Trauzeugen-Krise«. Tina hatte wie angekündigt genau wie bei ihrer ersten Hochzeit mich und Tim gefragt. Damals, als wir zwar noch zerstritten waren, aber noch keinen außerplanmäßigen Sex gehabt hatten. Mir zuliebe wollte sie Tim wieder ausladen, aber das hätte ich unhöflich gefunden. Ich versicherte ihr, dass Tim und ich im Guten auseinandergegangen waren und wir das wie zwei vernünftige Erwachsene durchstehen würden. Aber Tina befürchtete, dass wir uns auf dem Standesamt in irgendeine Besenkammer stehlen würden, um alten Gewohnheiten zu frönen. Ich wurde wütend und erklärte, dass ich Hannes dann ja wohl nicht heiraten würde. Tina pflichtete mir bei und sagte, genau das sei ja ihre Sorge. Ich bezeichnete sie als
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