Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
Vom Netzwerk:
lieber in Köln geblieben wäre und es ihr leidtat, mir wegen Kai Unannehmlichkeiten zu bereiten. Tim versprach, Kai selbstverständlich, so oft es ging, bei mir vorbeizubringen. Und ich versicherte ihm, dass ich ohnehin viel in der Gegend unterwegs war und problemlos auch öfter in Dortmund vorbeikommen konnte. Ich fand mich erwachsen und großzügig, wollte weder Tim noch Sarah eine Szene machen, vor allem nicht vor Kai.
    Tim und ich sprachen noch einmal mit dem Arzt, der meinte, dass Kai nach ein paar Tagen Ruhe wieder zum Kindergarten gehen dürfe und noch einmal vier Wochen später seinen Gips los sein würde. Doch der schien ihn schon jetzt nicht mehr zu stören, denn er hampelte bereits herum wie eh und je. Dann suchten wir gemeinsam seine Sachen zusammen und verabschiedeten uns harmonisch voneinander, als wären wir eine große Familie. Kai fuhr mit Tim und Sarah nach Hause. Ich fuhr zur Redaktion.
    Ich stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab, doch statt reinzugehen, ging ich zum Türken gegenüber und holte mir einen Kaffee. Ich setzte mich mit dem Plastikbecher auf eine Mauer direkt vor dem türkischen Coffeeshop und betrachtete meinen Arbeitsplatz. Wie so oft, wenn ich eine schwierige Entscheidung hinter mich gebracht hatte, bekam ich plötzlich eine andere Sicht auf mein Leben. Meistens hielt dieser Zustand nicht lange an, aber es war so, als wäre die Perspektive ein winziges Stück verschoben worden. Ich fühlte mich freier, und in gewisser Weise war ich es auch. Ich konnte meine Zukunft planen, mit Hannes. Ich hatte tatsächlich eine Art Ultimatum gebraucht, um mein Beziehungsleben zu regeln. Und jetzt, als ich es geregelt hatte, war ich erleichtert. Traurig, aber erleichtert. Es war gut so. Hannes war der Richtige. Für mich. In dieser Situation. Ohne Tim.
    Ich nahm den letzten bitteren Schluck aus dem Becher und warf ihn in den Mülleimer vor unserer Redaktion. Dann stieß ich die Eingangstür auf. Ich war viel zu spät dran, aber Hannes erwartete ohnehin nicht, dass ich heute arbeitete. Er dachte sicher, dass ich mit Kai das Wochenende noch im Krankenhaus verbringen müsste. Deswegen ging ich auch nicht direkt zu ihm, als ich ins Büro kam. Ich setzte mich an meinen Computer, ohne ihn anzumachen. Hannes war in seinem Büro, aber ich konnte ihn hinter den Lamellen nur erahnen. Ich wünschte mir einen Röntgenblick, denn im Kopf ging ich gerade die verschiedenen Varianten meiner Antwort zu seiner Frage durch und hätte den Ernstfall gerne so authentisch wie möglich simuliert.
    So, dann heiratete ich Hannes also. Das hatte ich wohl mit meinem Ja gegenüber Tim besiegelt. Jetzt musste ich nur noch meinen Zukünftigen davon in Kenntnis setzen. Am besten, bevor er es von meinem Ex erfuhr. An unserer Beziehung würde es vermutlich sowieso wenig ändern. Es hätte keine Auswirkungen auf unser Zusammenleben. Aber es hatte eine gewisse Symbolkraft. Es hatte eine Ernsthaftigkeit, eine – im Zeitalter der Online-Scheidungen zwar nur bedingte – Endgültigkeit, die mir nach dem Herumgestocher in den letzten Monaten plötzlich sehr reizvoll erschien. Nicht zuletzt um mir zu beweisen, dass ich nicht mehr zurückschauen musste. Ich schaltete meinen Computer jetzt doch ein und dachte gleichzeitig über die andere Option nach. Ein Nein würde Hannes nicht vollständig abschrecken, solange es gut begründet war. Die Affäre mit Tim wäre vielleicht keine akzeptable Erklärung gewesen, aber so etwas Klassisches, wie »Wozu brauchen wir einen Trauschein?«, »Lass uns doch nichts überstürzen« oder »Wenn wir erst mal verheiratet sind, geht unser Sexleben bestimmt den Bach runter« würde es sicherlich tun. Allerdings brachte mich das automatisch wieder zu meinem ursprünglichen Problem. Hannes konnte ich ein Nein vielleicht noch verkaufen, bei Tim wurde es schon schwieriger. Er würde sofort wissen, dass ich ihn belogen hatte und unser Spiel ging von Neuem los.
    Ich öffnete das hausinterne E-Mail-Programm und sah, dass sich an dem einen Tag, den ich abwesend gewesen war, bereits eine Menge angesammelt hatte. Das meiste musste ich nur lesen und konnte es danach in den Papierkorb schicken, weil die Info bereits wieder veraltet war. Auf zwei Mails musste ich ausführlicher antworten, und dann wartete ein leerer Entwurf an Hannes auf mich. Eigentlich wollte ich ihn nur fragen, ob wir später zusammen essen gehen wollten. Aber stattdessen tippte ich zwei Buchstaben ein: JA! Nur zur Probe. Ich horchte in mich hinein.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher