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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Leipert Sabine
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Wie fühlte ich mich? Kribbelig, dabei hatte ich es noch nicht mal abgeschickt. Abgesehen davon, dass Hannes die zusammenhanglose Nachricht vermutlich nicht verstehen würde. Aber es war ein positives Kribbeln, in das sich sogar etwas Stolz und Überheblichkeit mischten. Ich würde den Chef heiraten. Gut, das war bei einem Kollegenkreis, der zu sechzig Prozent verheiratet war und zu fünfundneunzig Prozent männlich, nicht gerade eine herausragende Leistung. Aber dieser attraktive, aufstrebende, intelligente Mann dort hinten auf dem Chefsessel der Sportabteilung, der bald Chefredakteur dieser Zeitung sein würde und damit vermutlich zu Deutschlands gefragtesten Junggesellen zählte, wollte mich zu seiner Frau! Irgendwann war ich so angetan von dem Gedanken, dass ich auf senden drückte. Augenblicklich fing mein Puls an zu rasen, und meine Kehle war wie ausgetrocknet. Ich hatte erste Anzeichen einer Panikattacke. Ruhig Karina, es ist alles in Ordnung. Du hast nur das getan, was schon Millionen andere Frauen vor dir getan haben. Du hast dich für einen Mann entschieden, und zwar für einen, der für den Rest des Lebens halten soll. Kein Problem, so etwas tut man eben in einem gewissen Alter, keiner wird dich deswegen blöd angucken, keiner unangenehme Fragen stellen, im Gegenteil, du hast dich quasi in null Komma nix vom schwarzen Schaf der Familie in die Pole Position katapultiert. Alle werden dir zu deiner Wahl gratulieren. Willkommen in der Welt der Verheirateten!
    Andererseits, woher sollte Hannes wissen, dass ich mit der Mail seinen Heiratsantrag meinte? Ganz sicher würde er es damit gar nicht in Verbindung bringen. Viel zu unromantisch und albern. Wer nahm schon einen Heiratsantrag per E-Mail an?! Glück gehabt, alles noch offen. Ich würde ihn jetzt zum Essen einladen und dann heute Abend bei Kerzenschein und Rotwein, wie es so meine Art war, kein Wort über die Lippen bringen, sondern hoffen, dass er die Message auch so verstand. Noch während mein Puls zu seinem Normaltempo zurückfand und ich mich davon überzeugte, dass weder Hannes noch sonst irgendwer mich darauf festnageln konnte, mit dieser Mail seinen Heiratsantrag angenommen zu haben, stürzte Hannes aus seinem Büro auf mich zu, beugte sich quer über meinen Schreibtisch und rollte meinen Stuhl zu sich heran, um mir vor allen Kollegen einen Kuss zu geben, der definitiv den Rahmen eines normalen Arbeitsverhältnisses sprengte. Als er seine Lippen gefühlte drei Minuten später wieder von meinen löste, lief er genauso eilig und wortlos in sein Büro zurück und ließ mich mit den überraschten bis sarkastischen Kommentaren meiner Kollegen alleine. Ich verkroch mich in meinem Stuhl, so weit es ging, und spürte, wie ich dunkelrot anlief. Gut, dann hatte Hannes die Mail eben doch richtig gedeutet, und mir blieb das Hintertürchen verschlossen. War vielleicht auch besser so. Ich drehte mich meinen Kollegen zu, die mich immer noch angrinsten, und zuckte mit den Schultern. »Scheint so, als hätte ihm mein letzter Artikel gut gefallen.«

Perfekte Kopie
    Dann ging alles ganz schnell.
    Ich hatte eigentlich erwartet, dass ich mich nach einem angenommenen Heiratsantrag erst mal erholen dürfte. Körper und Seele Zeit geben dürfte, sich der neuen Situation anzupassen. Ich hatte immer gedacht, die Vorbereitungen für eine Hochzeit wären nur deswegen so langwierig und das Standesamt nur aus dem Grunde so lang im Voraus ausgebucht, weil sich das zukünftige Ehepaar in Ruhe auf den neuen Status einstellen, letzte Partnerschaftstests durchführen und den Ernstfall simulieren sollte. Nicht so, wenn man eine Freundin wie Tina hatte, der ich damit das letzte Puzzlestück zu ihrer ansonsten perfekten Kopie ihrer perfekten ersten Hochzeit lieferte. Dementsprechend war ihre natürliche Reaktion auf meine Neuigkeit auch kein überschäumendes: »Das wird auch mal Zeit«, sondern lediglich ein: »Gott sei Dank! Doppelhochzeit!«
    »Mir reicht es, wenn ich eine Hochzeit ohne Probleme durchstehe«, lehnte ich dankend ab.
    »Mensch Karina, verstehst du denn nicht?«
    »Nein, aber ich finde die Idee präventiv schon mal nicht gut.«
    »Als Aygün und ich das erste Mal geheiratet haben, hat doch Özlem mit uns zusammen geheiratet.«
    »Und sich ein Jahr später wieder scheiden lassen.«
    »Ja, aber das tut doch jetzt gar nichts zur Sache.«
    »Ich finde schon, wenn ich deine neue Özlem werden soll, nur damit alles genauso wird wie beim ersten Mal.« Sonst legte Tina doch
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