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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Autoren: Janine Binder
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30 km/h fuhr, konnte sie nicht mehr bremsen. Der Kleine knallte auf die Motorhaube und rutschte dann an der Seite herunter, ein Reifen fuhr ihm noch über den linken Arm.
    Die Fotos sind gemacht, die Kollegen übernehmen die Benachrichtigung der Eltern, und der Notarzt teilt uns mit, dass es nicht so schlimm ist, wie es aussieht. Platzwunde am Kopf, tatsächlich den Arm gebrochen und eine Fleischwunde an der Hüfte.
    Ich scheuche die letzten Gaffer weg, die sich immer noch in der Nähe herumdrücken, und in weniger als vierzig Minuten sieht die Unfallstelle aus, als wäre nichts passiert – abgesehen von der blutbefleckten orangefarbenen Mütze am Straßenrand.
    Kaum sitze ich im Auto und habe durchgegeben, dass wir eine Verkehrsunfallanzeige schreiben und dass der Junge ins Krankenhaus unterwegs ist, haben wir auch schon den nächsten Einsatz. Randalierer in der Fußgängerzone.
    Direkt hinter unserer Wache liegt eine Fußgängerzone samt einem größeren Busbahnhof, der leider immer wieder Schauplatz von kleineren Straftaten, Bandenkämpfen und einfachen Streitigkeiten ist. »Randalierer« kann also alles bedeuten, von einem Betrunkenen, der ein wenig herumkrakeelt, bis zu einer ausgewachsenen Schlägerei.
    Als wir ankommen, haben sich bereits zwei Gruppen gebildet. Auf der einen Seite mehrere Jugendliche, auf der anderen die üblichen Alkoholiker, die die Bänke dort täglich bevölkern. Sie treffen sich, um zu trinken, tun aber eigentlich niemandem etwas zuleide.
    Alle sind aufgebracht und beschimpfen sich quer über den Platz hinweg. Noch im Aussteigen sagt mein Kollege: »Du die Alkis, ich die Gettokinder!«
    Ich nicke und steuere auf die fünf Frauen und Männer zu, die sich vor ihren Stammplätzen aufgebaut haben.
    »Ah, Frau Binder, gut, dass Sie da sind. Sie sind in Ordnung. Sie können das hier mal klären!«
    Ich grinse. Herr Eichner ist uns allen wohlbekannt. Ständig betrunken, manchmal ein wenig lästig, aber immer sehr freundlich und leider häufig total verwirrt.
    »Herr Eichner, was ist denn passiert?«, frage ich.
    Aus der Jugendgruppe schreit einer: »Ey, was redet die Bullenschlampe mit den Pennern?«, wird aber sofort durch meinen Kollegen scharf zurechtgewiesen.
    »Die haben mein Bier umgetreten, die Jungens da!« Jetzt hat Herr Eichner fast Tränen in den Augen. »Das dürfen die doch nicht! Ich hab nur hier gesessen und mit meinen Freunden ein Bier getrunken, da kam der da mit den komischen Haaren und hat einfach mein Bier umgetreten. Ich hab gesagt, ist ja nicht so schlimm, soll er mir halt ein neues kaufen. Da hat er gesagt, ich wäre Sozialschmarotzer, und er pisst auf mein Bier. Als ich noch jung war, hätte ich dem eine in die Fresse gehauen!«
    Wütend schüttelt er die Faust in Richtung der Jugendlichen, seine Freunde bestätigen, was er erzählt hat.
    »Herr Eichner, ruhig bleiben. Wir machen das schon. Setzen Sie sich hier hin, und ich geh mal eben rüber und schau, was die Jungs dazu sagen.«
    »Sozialschmarotzer, ich! Die haben in ihrem Leben noch nicht gearbeitet, aber mich armen Rentner Sozialschmarotzer nennen!«, brabbelt er vor sich hin.
    Grimmig schauend, baue ich mich neben meinem Kollegen auf, der aufgrund der fadenscheinigen Aussagen der Jungs auch ohne die Aussage von Herrn Eichner schon kapiert hat, wer hier wem was Böses wollte.
    »Armselig seid ihr, alle miteinander! Legt euch meinetwegen mit euresgleichen an, aber lasst die alten Leute in Ruhe. Die tun euch doch nichts!«
    »Die versaufen unsere Steuergelder!«
    »Die verhässlichen unsere Stadt, die Asis da!«
    » SOZIALSCHMAROTZER SIND DAS !«
    »Die tun den ganzen Tag nix und stinken hier rum, und der Staat bezahlt das auch noch!«
    Der Kollege lächelt freundlich: »So, so, Kevin, welche Steuern zahlst du denn so als Schüler? Und wenn ich mich richtig erinnere, geht dein Vater schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr arbeiten. Der zahlt also auch keine Steuern. Abgesehen davon, dass Herr Eichner Rentner ist, der hat seinen Anteil bereits geleistet. Ihr geht ihm jetzt ein neues Bier kaufen und entschuldigt euch. Und dann will ich euch hier nicht mehr sehen!«
    Murrend ziehen zwei der Jungs los zum Kiosk und tauchen Minuten später mit zwei Bierflaschen wieder auf. Ihre gemurmelte Entschuldigung quittiert Herr Eichner mit hochgezogenen Augenbrauen, dann verschwinden die Kids Richtung Jugendzentrum.
    Herr Eichner und seine Kumpels sitzen jetzt wieder friedlich auf ihrer Bank. »Alles gut, Herr Eichner?«, will
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