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Seine Lordschaft lassen bitten

Titel: Seine Lordschaft lassen bitten
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Mann, »Sie brauchen es nur auf der anderen Seite des Brustkorbs zu probieren, Sir.«
    Wimsey schob gehorsam seine Hand dorthin.
    »Ich glaube, da spüre ich ein leichtes Schlagen.«
    »Ja? Nun, Sie waren nicht darauf gefaßt, es hier zu finden, nicht wahr? Aber das ist es eben. Mein Herz ist auf die rechte Seite gerutscht – das wollte ich Sie selber fühlen lassen.«
    »Ist das während einer Krankheit passiert«, fragte Wimsey teilnehmend.
    »Gewissermaßen. Aber das ist nicht alles. Auch meine Leber ist auf die falsche Seite gewandert und die anderen Organe ebenso. Ich war bei einem Doktor, der hat mich untersucht und gesagt, bei mir sei alles umgekehrt. Mein Blinddarm zum Beispiel saß links – das heißt, bis man ihn mir herausnahm. Wenn wir jetzt zu Hause wären, könnte ich Ihnen die Narbe zeigen. Es war für den Chirurgen eine große Überraschung, als man ihm das von mir erzählte. Nachher sagte er, es sei ihm recht unangenehm gewesen, sozusagen linkshändig an die Operation gehen zu müssen.«
    »Das Ganze ist ungewöhnlich, gewiß«, sagte Wimsey, »aber ich glaube, solche Fälle kommen manchmal vor.«
    »Nicht so wie bei mir. Es passierte bei einem Luftangriff.«
    »Bei einem Luftangriff?« wiederholte Wimsey bestürzt.
    »Ja – und wenn das alles gewesen wäre, was mir dabei geschah, würde ich's hinnehmen und noch dankbar sein. Achtzehn war ich damals und gerade eingezogen worden. Vorher hatte ich in der Packerei bei Crichton gearbeitet – Sie haben von der Firma sicher gehört –, Crichton, das Haus für gute Reklame, mit Geschäftsräumen in der Holborn Street. Meine Mutter wohnte in Brixton, und ich war vom Ausbildungslager auf Urlaub gekommen. Ich hatte mich mit ein paar alten Kumpeln getroffen und wollte den Abend mit einem Kinobesuch im ›Stoll‹ beschließen. Es war nach dem Abendessen – ich hatte gerade noch Zeit, zur letzten Vorstellung zurechtzukommen; so nahm ich den kürzesten Weg von Leicester Square über Covent Garden Market. Ich ging also ziemlich rasch, da – bums! – fiel eine Bombe offenbar mir genau vor die Füße, und um mich wurde für eine Weile alles schwarz.«
    »War das der Angriff, der das Oldham-Haus wegrasierte?«
    »Ja, am 28. Januar. Nun, wie ich sagte, für mich war alles weg. Das nächste, was ich weiß, ist, daß ich irgendwo im hellen Tageslicht dahinspazierte, um mich Rasen und Bäume und Wasser auf der einen Seite, und daß ich nicht mehr Ahnung hatte als der Mann auf dem Mond, wie ich dahingekommen war.«
    »Guter Gott!« sagte Wimsey. »Und das war die vierte Dimension, meinen Sie?«
    »Nein, das nicht. Es war der Hyde Park, wie ich schließlich merkte, als ich meine fünf Sinne wieder beisammen hatte. Ich ging am Ufer der Serpentine entlang, und auf einer Bank saßen ein paar Frauen, und Kinder spielten darum herum.«
    »Hatte die Explosion Sie verletzt?«
    »Nichts zu sehen oder zu spüren, außer großen blauen Flecken an der einen Hüfte und Schulter, als wenn ich gegen eine Wand oder so etwas geschleudert worden wäre. Ich fühlte mich ziemlich benommen. Der Luftangriff war völlig aus meinem Gedächtnis verschwunden, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich hierher gekommen war und warum ich nicht bei Crichton arbeitete. Ich schaute auf meine Uhr, aber sie war stehengeblieben. Als ich in meine Tasche griff, fand ich etwas Geld, aber es war nicht so viel, wie ich eigentlich hätte haben müssen – bei weitem nicht. Doch ich verspürte Hunger, und so ging ich beim Marble-Arch-Tor zum Park hinaus und in ein Lyons-Restaurant. Ich bestellte zwei Spiegeleier auf Toast und eine Kanne Tee, und während ich wartete, nahm ich eine Zeitung zur Hand, die jemand auf dem Stuhl hatte liegenlassen. Und das gab mir den Rest. Meine letzte Erinnerung war, daß ich diesen Film hatte ansehen wollen, am 28., und auf der Zeitung stand das Datum vom 30. Januar! Irgendwo hatte ich einen ganzen Tag und zwei Nächte verloren!«
    »Ein Schock«, stellte Wimsey fest. Der kleine Mann nahm diese Feststellung auf und gab ihr seine eigene Deutung.
    »Ein Schock? Das will ich meinen. Ich war zu Tode erschrocken. Das Mädchen, das mir meine Eier brachte, muß gedacht haben, ich sei verdreht. Ich fragte sie, welchen Wochentag wir hatten, und sie sagte: ›Freitag‹. Es gab keinen Zweifel mehr.
    Na ja, ich will mich nicht zu lang dabei aufhalten, das ist nämlich bei weitem noch nicht das Ende. Irgendwie brachte ich mein Essen hinunter, und dann ging ich zu einem Doktor. Er
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