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Seine Lordschaft lassen bitten

Titel: Seine Lordschaft lassen bitten
Autoren: Dorothy L. Sayers
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taumeln, lauter Nebel und Halbdunkel, und die Mauern waren alle krumm und gegeneinandergeneigt wie in dem Film vom Dr. Caligari. Irr – genau das war es. Wie viele Male blieb ich die ganze Nacht aufrecht sitzen aus Angst vor dem Einschlafen. Ich wußte ja nicht... sehen Sie, ich sperrte zwar die Schlafzimmertür zu und versteckte den Schlüssel, weil ich fürchtete... nun, ich wußte ja nicht, was ich am Ende noch tat in meinem Traum. Aber dann las ich in einem Buch, daß Schlafwandler sich daran erinnern können, wohin sie die Sachen in wachem Zustand verräumt haben. So war das Verstecken also zwecklos.«
    »Warum nahmen Sie nicht jemand zu sich ins Zimmer?«
    »Das tat ich ja auch.« Er stockte. »Ich heiratete. Meine Frau war ein liebes junges Ding. Der Traum verschwand. Drei Jahre lang hatte ich Frieden. Ich war vernarrt in das Mädchen, weiß der Himmel, wie vernarrt. Dann starb sie.«
    Er stürzte den Rest seines Whiskys hinunter und blinzelte.
    »Grippe. Dann Lungenentzündung. Es hat mich sozusagen umgeworfen. Hübsch war sie auch...
    Danach war ich wieder allein. Ich litt darunter. Ich konnte nicht – ich wollte nicht... aber die Träume kamen zurück. Schlimmer. Ich träumte, ich täte alle möglichen Dinge – nun, das ist jetzt unwichtig.
    Und eines Tages passierte es dann am hellen Tag.
    Ich ging um die Mittagszeit durch die Holborn Street, ich arbeitete immer noch bei Crichton. Chef der Packerei war ich inzwischen und stand mich sehr gut dabei. Es war ein elend feuchter Tag, erinnere ich mich, düster und immer wieder Nieselregen. Ich wollte mir die Haare schneiden lassen. Es gibt da einen Friseurladen, auf der Südseite, etwa auf halbem Weg – so einen, wo man durch eine Passage gehen muß, und am Ende ist dann eine Tür mit einem Spiegel, auf dem der Name steht, in Goldbuchstaben.
    Dorthin also ging ich. In der Passage brannte ein Licht, so konnte ich ganz gut sehen. Als ich mich dem Spiegel näherte, sah ich mein Bild mir entgegenkommen, und plötzlich überfiel mich das scheußliche Traumgefühl. Ich sagte mir, das sei doch reiner Unsinn, und streckte die Hand nach der Türklinke aus – meine linke, denn die Klinke war auf dieser Seite, und ich reagierte noch immer leicht als Linkshänder, wenn ich nicht aufpaßte.
    Das Spiegelbild streckte natürlich die rechte Hand aus – das war selbstverständlich nichts Besonderes –, und ich sah meine eigene Gestalt mit dem alten, zerdrückten Hut und dem Regenmantel – aber mein Gesicht – großer Gott! Es grinste mich an! Und dann, genau wie im Traum, drehte mir das Spiegelbild plötzlich den Rücken und ging von mir weg, sah mich über die Schultern an...
    Meine Hand lag auf der Türklinke, die Tür öffnete sich, ich stolperte und fiel über die Schwelle.
    Danach weiß ich nichts mehr. Als ich erwachte, lag ich in meinem Bett, und ein Doktor war bei mir. Er erzählte mir, ich sei auf der Straße ohnmächtig geworden, man habe ein paar Briefe mit meiner Adresse bei mir gefunden und mich so nach Hause bringen können.
    Ich sagte dem Doktor alles, was dazu zu sagen war, und er meinte, ich sei sehr nervös. Es wäre gut, wenn ich eine andere Arbeit hätte und mehr an die frische Luft käme.
    Bei Crichton waren sie sehr anständig zu mir. Sie beauftragten mich mit der Überwachung ihrer Außenreklame. Da fährt man von Stadt zu Stadt, wissen Sie, und inspiziert die Litfaßsäulen und schaut, welche Plakate beschädigt oder schlecht placiert sind, und berichtet darüber. Sie haben mir auch einen Morgan gestellt zum Herumfahren.
    Mit den Träumen wurde es besser. Aber weg ist es nicht. Erst vor ein paar Nächten kam es wieder über mich. Einer der schlimmsten Träume, die ich je hatte. Ringkampf und Würgegriffe irgendwo in Nacht und Nebel. Ich hatte den Teufel – mein anderes Ich – aufgespürt und überwältigt. Ich spüre noch, wie meine Finger seine Kehle packten und ich mich selbst tötete.
    Das war in London. In London geht es mir immer schlechter. Und dann kam ich hierher.
    Sie verstehen jetzt, warum mich das Buch interessiert hat. Die vierte Dimension – nicht daß ich je davon gehört hatte, aber dieser Wells scheint sie genau zu kennen. Sie sind doch ein gebildeter Mann, möchte sagen, Sie waren auf dem College und so weiter. Was denken Sie über die Sache?«
    »Ich würde sagen«, antwortete Wimsey, »es ist wahrscheinlicher, daß Ihr Doktor recht hatte. Nerven und so.«
    »Ja, aber das erklärt nicht ausreichend, warum ich so tief in die
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