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Seine Lordschaft lassen bitten

Titel: Seine Lordschaft lassen bitten
Autoren: Dorothy L. Sayers
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werde die Polizei holen und ihn ins Gefängnis werfen lassen wegen Kirchenraub, das kann ich Ihnen versichern. Wo ist das Telefon?«
    »Entschuldigen Sie, bitte«, ließ Wimsey sich hören. »Ich möchte mich eigentlich nicht mehr in Ihre Familienangelegenheiten mischen, als ich es bereits getan habe, aber ich rate Ihnen wirklich nicht, die Polizei kommen zu lassen.«
    »So, Sie raten mir nicht dazu. Was hat das mit Ihnen zu tun, zum Kuckuck noch mal?«
    »Nun«, sagte Wimsey flehentlich, »wenn diese Testamentsangelegenheit vor Gericht kommt, werde ich wahrscheinlich eine Aussage machen müssen, da ich der Bursche war, der das Ding gefunden hat.«
    »Ja, und?«
    »Sie könnten mich fragen, wie lange das Testament wohl in dem Versteck geruht habe.«
    Haviland schien einen Kloß im Halse zu haben, der seine Sprache beeinträchtigte.
    »Und was täte das zur Sache?«
    »Es ist ziemlich merkwürdig, wenn man es sich richtig überlegt. Ich meine, Ihr verstorbener Vater muß das Testament im Bücherschrank versteckt haben, bevor er ins Ausland ging. Das war – vor wie lange? Drei Jahre? Fünf Jahre?«
    »Vor etwa vier Jahren.«
    »Na, also. Und seitdem hat Ihre gescheite Hausverwalterin die Feuchtigkeit in die Bibliothek eindringen lassen, nicht wahr? Kein Feuer, ein zerbrochenes Fenster und so weiter. Verheerend für die Bücher. Sehr traurig für Leute wie mich. Nun ja. Nehmen wir einmal an, man würde diese Frage stellen – und Sie würden antworten, es habe vier Jahre im Feuchten gelegen. Würde man es nicht komisch finden, wenn ich aussagte, daß sich am Ende des Bücherregals ein großer, feuchter Fleck befinde, der wie ein grinsendes Gesicht aussehe, daß ein entsprechendes großes, grinsendes Gesicht auf der alten Nürnberger Chronik zu finden sei und überhaupt kein Fleck auf dem Testament, das vier Jahre lang zwischen beiden gesteckt haben soll?«
    Mrs. Haviland schrie plötzlich: »Haviland! Du Dummkopf! Du großer Dummkopf!«
    »Halte deinen Mund!«
    Mit einem Wutschrei fuhr Haviland seine Frau an, die in einem Sessel zusammenbrach und sich die Hand vor den Mund hielt.
    »Danke vielmals, Winnie«, sagte Martin. »Nein, Haviland, du brauchst keine Erklärungen abzugeben. Winnie hat alles verraten. Du wußtest also Bescheid – du kanntest das Testament. Hast es absichtlich versteckt und Anordnungen für die Beerdigung getroffen. Ich bin dir unendlich dankbar - beinahe so dankbar wie dem diskreten Graham. Gilt das Verstecken von Testamenten als Unterschlagung oder als Komplott oder als was? Mr. Frobisher-Pym wird's wissen.«
    »Ach, du liebe Zeit!« sagte der Friedensrichter. »Sind Sie Ihrer Sache auch sicher, Wimsey?«
    »Ganz sicher«, erwiderte Wimsey und zog die Nürnberger Chronik unter seinem Arm hervor. »Hier ist der Fleck – Sie können sich selbst überzeugen. Verzeihen Sie, daß ich Ihr Eigentum entliehen habe, Mr. Burdock. Ich fürchtete aber, Mr. Haviland könnte in den stillen Stunden der Nacht über diese kleine Abweichung nachdenken und den Entschluß fassen, die Chronik zu verkaufen oder zu verschenken, oder zu der Ansicht gelangen, daß sie ohne Deckel besser aussähe. Gestatten Sie, daß ich sie Ihnen zurückgebe, Mr. Martin, und zwar intakt. Sie werden mir vielleicht verzeihen, wenn ich sage, daß ich keine der Rollen in diesem Melodrama sehr bewundere. Es wirft, wie Mr. Pecksniff sagen würde, ein trauriges Licht auf die menschliche Natur. Aber besonders habe ich mich über die Art und Weise geärgert, in der man mich zu dem Bücherregal lotste und zum gescheiten, unabhängigen Zeugen machte, der das Testament fand. Ich mag ein Narr sein, Mr. Haviland Burdock, aber ich bin kein Erznarr. Gute Nacht. Ich werde im Wagen warten, bis alle fertig sind.«
    Wimsey schritt würdevoll hinaus.
    Bald folgten ihm der Vikar und Mr. Frobisher-Pym. »Mortimer bringt Haviland und seine Frau zum Bahnhof«, berichtete der Friedensrichter. »Sie kehren sofort nach London zurück. Sie können ihnen das Gepäck morgen nachschicken, Hancock. Wir machen am besten, daß wir fortkommen.«
    Wimsey drückte auf den Anlasser.
    Im selben Augenblick rannte ein Mann eilig die Treppe hinunter und trat zu ihm an den Wagen. Es war Martin.
    »Hören Sie«, murmelte er. »Sie haben mir einen großen Gefallen getan – den ich eigentlich nicht verdiene. Sie müssen mich für einen Schweinehund halten. Aber ich werde dafür sorgen, daß der alte Herr anständig begraben wird, und ich werde das Vermögen mit Haviland teilen.
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