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Seine Lordschaft lassen bitten

Titel: Seine Lordschaft lassen bitten
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Beschleunigen Sie das Trocknen. Und machen Sie ja nichts an den Abzügen.«
    »Nein, Sir. In ein bis zwei Stunden werden Sie sie haben. Aber es erstaunt mich doch, daß der Kunde nicht reklamierte.«
    »Das ist nicht erstaunlich«, erwiderte Wimsey. »Er fand diese Aufnahme wahrscheinlich am ähnlichsten. Und das war sie auch – für ihn. Verstehen Sie nicht? Sein eigenes Gesicht bekam er immer nur auf diesem Foto zu sehen. So, mit vertauschter rechter und linker Seite, blickte es ihn tagtäglich aus dem Spiegel an. Es ist das einzige Gesicht, das er wirklich als das seine wiedererkennen kann.«
    »Ja, das stimmt, Sir. Ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie den Irrtum herausgefunden haben.«
    Wimsey erinnerte noch einmal daran, daß die Abzüge dringend gebraucht wurden, und ging. Anschlie ßend stattete er dem Somerset- House einen kurzen Besuch ab, worauf er, zufrieden mit seinem Tagewerk, nach Hause zurückkehrte.
    Die Nachforschungen in Brixton – in dem Haus, das Duckworthy als Adresse angegeben hatte, und in seiner Nachbarschaft – brachten Wimsey schließlich auf die Spur von Leuten, die Duckworthy und seine Mutter gekannt hatten. Eine alte Frau, die während der letzten vierzig Jahre in derselben Straße einen Gemüseladen betrieb, erinnerte sich genau an sie und ihre Verhältnisse. Sie wußte sogar das Datum, an dem die Familie eingezogen war.
    »Zweiunddreißig Jahre sind es nächsten Monat«, sagte sie. »An Michaelis kamen sie. Sie war eine nett aussehende junge Frau, und meine Tochter, die damals ihr Erstes erwartete, interessierte sich für den süßen kleinen Jungen.«
    »Der Junge ist nicht hier geboren?«
    »Aber nein, Sir. Irgendwo im Südteil der Stadt ist er auf die Welt gekommen, aber ich entsinne mich, daß sie nie recht sagte, wo – nur daß es irgendwo in der Nähe der neuen Eisenbahnlinie war. Sie war eine von den Stillen und hielt sich für sich. Keine, die klatscht, das tat sie nicht. Nicht einmal meiner Tochter, die doch gute Gründe für ihr Interesse hatte, erzählte sie viel darüber, wie sie durch ihre schwere Stunde kam. Chloroform hat sie bekommen, sagte sie – das weiß ich noch –, und sie erinnert sich an nichts, aber daß sie nicht gern daran denken mochte. Ihr Mann – er war ein netter Mann, nett wie sie –, der sagte zu mir: ›Erinnern Sie sie nicht daran, Mrs. Harbottle, tun Sie's nicht!‹ Ob sie Angst hatte oder bei der Sache einen Schaden davontrug, weiß ich nicht, aber sie bekam weiter keine Kinder. ›Mein Gott‹, sagte ich dann und wann zu ihr, ›Sie werden sich daran gewöhnen, wenn Sie erst mal neune gehabt haben wie ich.‹ Sie lächelte, aber sie bekam keins mehr, trotzdem.«
    »Und wie alt war das Baby, als Mrs. Duckworthy nach Brixton kam?«
    »Drei Wochen alt war's, Sir – ein süßes Kerlchen, mit einer Menge Haare auf dem Kopf. Schwarz waren sie damals, aber später wurden sie brandrot, sahen aus wie die Karotten hier. Die Farbe war nicht so hübsch wie bei seiner Mama, aber doch recht ähnlich. Im Gesicht hatte der Junge wenig von ihr und auch nichts vom Vater. Sie sagte, er schlage jemand in ihrer Familie nach.«
    »Lernten Sie einmal andere Angehörige kennen?«
    »Nur ihre Schwester, Mrs. Susan Brown. Eine große, strenge Frau mit einem harten Gesicht war das – gar nicht wie ihre Schwester. Wohnte in Evesham, soviel ich mich erinnere, damals bezog ich nämlich meinen Spargel von dort. Ich kann heute noch kein Bund Spargel ansehen, ohne daß ich an Mrs. Susan Brown denke. Steif und gerade war sie, mit einem kleinen Kopf, genau wie ein Stangenspargel.«
    Wimsey bedankte sich bei Mrs. Harbottle und nahm den nächsten Zug nach Evesham. Er begann sich zu fragen, wohin ihn seine Jagd noch führen würde, entdeckte dann aber zu seiner Erleichterung, daß Mrs. Susan Brown in der Stadt wohlbekannt und eine allseits geachtete Persönlichkeit war.
    Sie hielt sich noch immer sehr aufrecht, ihr glattes, dunkles Haar war in der Mitte gescheitelt und straff nach hinten gezogen – eine Frau mit breitem Untergestell und schmalen Schultern, in der Tat einem Spargel nicht unähnlich. Sie empfing Wimsey mit strenger Höflichkeit, wollte jedoch vom Tun und Treiben ihres Neffen nichts wissen. Die Andeutung, er befinde sich in einer gewissen Verlegenheit, ja Gefahr, überraschte sie anscheinend nicht.
    »Er hat schlechtes Blut in sich«, sagte sie. »Meine Schwester Hetty war viel gutherziger, als sie hätte sein sollen.«
    »Ach!« erwiderte Wimsey. »Aber wir
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