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Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)

Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)

Titel: Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Autoren: Gianluigi Nuzzi
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ein paar Minuten bräuchte, um ans Ziel zu gelangen.
Stattdessen fahren wir dieselben Straßen mehrere Male auf und ab. Die beiden
Männer wollen sichergehen, dass sie nicht verfolgt werden. Zu diesem Zweck
ergreifen sie eine Reihe von Gegenbeschattungsmaßnahmen, wie sie in
Spionagethrillern oder im Kino gezeigt werden.
    Das Treffen mit dem Informanten findet in einer Wohnung statt, in
einem Jugendstilgebäude in der Nähe des Vatikans, im Prati-Viertel. Die Wohnung
ist nicht möbliert und befindet sich, so erfahre ich, seit einiger Zeit auf dem
Immobilienmarkt. Der Makler muss den Männern den Schlüssel ausgehändigt haben.
Kein Namensschild, keine Klingel, die man betätigen könnte. Da ist das Zimmer,
es ist leer. Nur ein Plastikstuhl steht darin, auf dem mein Informant sitzt.
Dann reden wir.
    Er ist ein praktizierender Katholik, der seit 20 Jahren im Vatikan
arbeitet und regelmäßig in den Evangelien liest, sodass er zahlreiche Passagen
aus dem Kopf hersagen kann. In unseren Gesprächen zitiert er gern Worte aus der
Bibel, oft wiederholt er Sätze Benedikts XVI.
und Äußerungen von Heiligen. Dieser Mensch macht den Eindruck, als fühle er
sich unbehaglich, als leide er. Er fühlt sich unbehaglich aufgrund der
Wahrheit, die er kennt. Und er leidet an seiner Entscheidung, alles öffentlich
zu machen, indem er heimlich einen Journalisten trifft. Und doch sieht er, dass
bestimmte Vorgänge sich ständig wiederholen.
    »Nach dem Tod von Karol Wojtyła«, so vertraut er mir an, »habe ich
angefangen, Kopien einiger Dokumente beiseitezulegen, in deren Besitz ich bei
meiner Tätigkeit gelangt bin. In den ersten Jahren tat ich das nur sporadisch.
Als ich aber gesehen habe, dass das, was in den Zeitungen stand und was in den
offiziellen Verlautbarungen gesagt wurde, nicht mit der Wahrheit
übereinstimmte, wie sie schwarz auf weiß auf dem Papier stand, legte ich alles
in einem Ordner ab, um mich später in die Sachen zu vertiefen und mir Klarheit
zu verschaffen. Irgendwann habe ich damit wieder aufgehört, und kurz vor einem
meiner vielen Umzüge entschloss ich mich, fast alles wegzuwerfen. In den
letzten Jahren hat sich die Situation aber verschlechtert. Im Vatikan herrscht
unangefochten die Heuchelei. Die Skandale häufen sich. Und, sehen Sie, ich habe
dabei nicht nur den Missbrauchsskandal vor Augen, der uns alle so sehr
umtreibt, dass sogar der Papst gesagt hat, die größte Bedrohung für die Kirche
komme nicht von äußeren Feinden, sondern sei in den Sünden innerhalb der Kirche
zu suchen. Denken Sie etwa an die jüngste Untersuchung zur Geldwäsche im IOR [Istituto per le Opere di Religione,
Institut für die Werke der Religion], der Vatikanbank, an den Skandal um die
Legionäre Christi, der jahrelang vertuscht wurde, an die Machenschaften um die
Häuser der Propaganda Fide [Kongregation für die Evangelisierung der Völker],
an die Winkelzüge von Comunione e Liberazione, an den Selbstmord von Mario Cal,
der an der Seite von Don Luigi Verzé die San-Raffaele-Klinik in Mailand
leitete. Ganz zu schweigen von den internen Auseinandersetzungen, denen
namhafte Katholiken zum Opfer gefallen sind, so etwa Dino Boffo, der
Chefredakteur des Avvenire , der Tageszeitung der
Italienischen Bischofskonferenz [CEI, Conferenza
Episcopale Italiana]. Und dann natürlich die ungelösten Fälle der
Vergangenheit, die vom Blutbad unter den Schweizergardisten über das
Verschwinden Emanuela Orlandis bis zu den illegalen Geschäften des Banco
Ambrosiano unter Mitwirkung von Erzbischof Marcinkus reichen. Und nicht zu
vergessen die in der Vatikanbank gewaschenen Schmiergelder der ›Maxitangente‹
Enimont. Wenn gewisse Dinge nicht endlich aufgeklärt werden, werfen sie immer
wieder neue Fragen auf.«
    Es genügt daran zu erinnern, dass Erzbischof Marcinkus im Vatikan
noch heute vielen als Muster eines guten Geistlichen gilt, als unschuldiges
Opfer des Bankrott gegangenen Banco Ambrosiano unter Leitung des Bankiers
Roberto Calvi. Manchen ist er sogar als großherziger Mann in Erinnerung, der im
Sommer auf die Baugerüste renovierungsbedürftiger Häuser kletterte und den
Arbeitern eigenhändig Wasser brachte. Selbst Benedikt XVI.
hat gegenüber einigen Kardinälen einmal erwähnt, von Marcinkus habe er einen
Kleiderschrank geschenkt bekommen, als er aus Deutschland an die Kurie
gewechselt sei.
    Mit den juristischen Erkenntnissen, die im Laufe der Jahre über
gewisse Kardinäle und andere geistliche Würdenträger ans Licht gekommen
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