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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
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der Dunkelheit herumtrieben. Die meisten waren entweder ausgemergelte Stricher oder verfettete Schwule in Ledermonturen. Die einen fand Willem so widerlich wie die andern. Gleich hinter der nächsten Kreuzung betrat er einen von Pakistanis geführten Laden, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Er nahm eine Flasche Jack Daniels aus dem Regal, zahlte an der Kasse und nahm denselben Weg zurück, ohne nach links oder nach rechts zu blicken. Hätte eine Schwuchtel Willem angesprochen, hätte er ihr die Flasche über den Schädel gehauen.
    Vor laufendem Fernseher, dessen Ton er abgestellt hatte, goss sich Willem ein Glas nach dem anderen ein. Seine Wut auf Hewitt ließ aber nicht nach. Er überlegte, wie er seine Wut in die richtige Bahn lenken, was er Hewitt antun konnte. Ihn ärgerte vor allem, dass Hewitt immer noch selbstsicher und gutgelaunt durch die Welt stolzierte, trotz der Schwierigkeiten, in denen er bis über beide Ohren steckte. Schließlich drohte ihm nicht nur eine mehrjährige Gefängnisstrafe, sondern auch der Verlust seines Antiquitätengeschäfts, wenigstens von Teilen seines Vermögens und seiner gesellschaftlichen Stellung. Nach dem, was die Zeitungen schrieben, müsste Hewitt schon über eine riesige Portion Glück und exzellente Anwälte verfügen, um aus der Affäre einigermaßen unbeschadet herauszukommen. Sein Ruf war jedenfalls dauerhaft geschädigt, wenn nicht auf immer zerstört.
    Willem hielt das mit Eis und Whisky gefüllte Glas an seine Schläfe und ließ seine Begegnung mit Hewitt Revue passieren. Zwischen Hewitt und dem Mädchen herrschte eine ungezwungene Vertrautheit, eine tiefe Übereinstimmung. Selbst ihr Gang hatte das gleiche Auf und Ab, den gleichen wiegenden Rhythmus.
    Genau! Die Tochter! Hatte er sie nicht Patricia gerufen? Sie war der Schlüssel! Willem setzte sein Glas ab und sprang auf, als hätte ihn der Blitz getroffen. Er trommelte auf den Tisch. Warum war er nicht eher darauf gekommen? Die Tochter war Hewitts wunder Punkt! Für sie würde Hewitt alles tun. Plötzlich schien ihm alles ganz einfach: Er würde die Tochter entführen und für sie das Geld verlangen, das er so dringend brauchte. Und Hewitt würde es ihm geben. Das Risiko wäre begrenzt. Ein Mann wie Hewitt, selbstgerecht und überheblich, würde nie die Polizei um Hilfe bitten, insbesondere nicht in seiner gegenwärtigen Situation. Also hieß es: Er gegen Hewitt, Mann gegen Mann. Er würde es ihm zeigen. Er würde sich mit ihm messen, und er würde ihn besiegen.
    Halbbetrunken und in dem Bewusstsein, unbezwingbar zu sein, schlief Willem an diesem Abend in seinem Zwanzig-Quadratmeter-Appartement ein.

 
4
     
     
     
    Wieder gab es kein heißes Wasser. Das war immer so, wenn Willem erst nach zehn Uhr aufstand. Dann hatten bereits die übrigen Mieter geduscht und den Warmwasservorrat aufgebraucht. Es dauerte bis vier oder fünf Uhr nachmittags, bis das Wasser wieder heiß war. Eigentlich wäre für alle Mieter genug warmes Wasser da gewesen. Aber in dem Appartement unter ihm hausten drei oder vier zwergenhafte Kolumbianerinnen auf den gleichen zwanzig Quadratmetern, die auch Willem zur Verfügung standen. Zudem wuschen sie ihre Wäsche in der Wohnung, um das Geld für den Waschsalon zu sparen. Es hatte keinen Sinn, sich zu beschweren. Der Besitzer war Willem unbekannt. Und die Immobilienagentur, die ihm das Appartement vermittelt hatte, kümmerte sich nicht darum. Sie würde es sogar gerne sehen, wenn er ausziehen würde. Denn er zahlte gerade einmal zehn Prozent mehr Miete als bei seinem Einzug vor gut zwei Jahren. Bei einem neuen Vertragsabschluss könnte die Agentur wegen der rasant gestiegenen Preise mindestens dreißig Prozent auf die Miete draufschlagen.
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als kalt zu duschen. Noch mehr ärgerte ihn aber, dass er so lange geschlafen hatte. Normalerweise stand er nie später als halb neun auf. In der Nacht hatte er lange wach gelegen und war erst gegen Morgen eingeschlafen und immer noch müde.
    Die letzten Tage hatte er wie alle Tage verbracht. Er hatte sich durch die Straßen treiben lassen, aber nicht mehr ziellos. Denn seit seinem Entschluss, Hewitts Tochter zu entführen, hatte er ein Ziel, das ihn ganz erfüllte. Er war sich klar darüber, dass es ein Verbrechen wäre, und ebenso, dass er damit zum Verbrecher würde. Aber dieser Gedanke stachelte ihn erst recht an. Allein die Vorstellung, dass Hewitt eine Gefahr drohte, dass er selbst es war, der Hewitt wie kein anderer
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