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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
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und zwei Monate mehr, falls die Zeitungen ihre Überweisungen nicht einstellten. Willem überquerte den Platz und bewegte sich zielstrebig auf den Eingang von »Hackett« in der Sloane Street zu.
    Was für Holly Golightly »Tiffany’s« war, war »Hackett’s« für ihn. Er kam oft hierher, einfach um eine halbe Stunde zu verweilen. Die Zeiten, wo er hier Hemden und Jacketts kaufen konnte, waren längst vorbei. Niemand schien aber Anstoß daran zu nehmen. Er wurde höflich begrüßt und auch so bedient. Manchmal probierte er sogar stundenlang Sachen an, bedankte sich und ging seiner Wege.
    Heute aber fehlte Willem die rechte Stimmung. Lustlos ging er an den Tischen mit den Krawatten vorbei, ließ ohne echtes Interesse seinen Blick über die Hemdenregale gleiten. In die obere Etage, in der Mäntel und Anzüge angeboten wurden, mochte er schon gar nicht gehen. Der Besuch bei »Hackett’s« brachte nicht die gewünschte Wirkung. Statt ihn abzulenken, machten ihm die schönen und vor allem teuren Dinge, die er gerne besitzen würde, erst recht seine Lage bewusst.
    Draußen dämmerte es bereits. Willem schlenderte Richtung Knightsbridge. Es half nichts. Er brauchte Geld, viel Geld, und das möglichst schnell. Mit Arbeit – das hatte er tausendmal gedanklich durchgespielt – würde er nie zu dem Geld kommen, das er für das Leben, das er sich vorstellte, brauchte. Außerdem schloss das Leben, das er führen wollte, Arbeiten aus. Er machte sich nichts vor. Er besaß keinerlei Talente, um schnell an Geld zu kommen, und auf eine Erbschaft konnte er schon gar nicht hoffen.
    Um den Massen zu entgehen, die um diese Uhrzeit in die U-Bahn-Station Knightbridge strömten, bog Willem in eine schmale Straße ein, die direkt am Süd-Eingang von »Harrod’s« vorbeiführte. Dort warteten Chauffeure in grauen Anzügen – nur wenige in Uniform – geduldig auf ihre shoppingsüchtigen Ladies. Er betrat ein französisches Bistro auf der anderen Straßenseite, von dem man die Abfahrt der reichen Herrschaften verfolgen konnte.
    Doch das Schauspiel draußen war nur etwas für Touristen. Das Publikum an den übrigen Tischen, das überwiegend aus geschmackvoll und teuer gekleideten Frauen um die fünfzig bestand, weckte weitaus mehr sein Interesse. Einige sahen durchaus noch passabel aus, was sie einer Mischung aus gesunder Abstammung, ausgeglichener Lebensweise und sorgfältiger Körperpflege verdankten. Geldsorgen, da war sich Willem sicher, hatte wohl keine von ihnen jemals kennen gelernt. Entweder lebten sie von ererbtem Vermögen oder ließen sich von ihren Männern oder Ex-Männern aushalten. Einer die eigene Existenz sichernden Beschäftigung war keine in ihrem Leben nachgegangen.
    Er beneidete diese Frauen. Sie schienen sich jeden Wunsch erfüllen zu können. Oft hatte er daran gedacht, irgendeine einfach anzusprechen. Doch was hätte er anzubieten? Willem wusste selbst, dass er auf den ersten Blick nichts Anziehendes hatte. Alles an ihm wirkte durchschnittlich: Sein aschblondes Haar, seine graublauen Augen, sein blasser Teint. Er war schlank, aber nicht sportlich, mittelgroß. Nicht einmal seine Kleidung hob ihn wirklich aus der Masse heraus. Er war stets gut, aber nicht auffällig oder gar extravagant angezogen. Dazu fehlte ihm der Mut. Im Winter trug er vornehmlich klassische Sportsakkos, die er mit Cord- oder Flanellhosen kombinierte, im Sommer Baumwoll- oder Leinenjacken oder Blazer zu grauen oder hellen Hosen. Anzüge trug er selten aus Mangel an Gelegenheit. Willem war überzeugt, er hätte nichts anzubieten, kein Geld, keine Position, keinen Titel, nichts, womit er die Frauen hätte beeindrucken können.
    Am Tisch gegenüber saßen zwei Amerikanerinnen, die eine alt, die andere jung, die sich offenbar auf einem Einkaufsbummel durch halb Europa befanden. Wie Beutestücke lagerten Einkaufstüten mit den Schriftzügen bekannter Edelmarken unter ihrem Tisch. Die mit Schmuck behangene Alte hatte ihre Haare lila gefärbt und fragte die Kellnerin mit deutlich texanischem Akzent, ob sie Bourbon hätte, was ihre Tochter, eine marmorartige Schönheit, mit einem »Aber Mutter!« kommentierte.
    Auch zehn Jahre jünger wäre Willem nicht als ein Mann für gewisse Stunden diesen einsamen Herzen aufgefallen, nicht einmal als Freund und Seelentröster. Ihm fehlte jede Galanterie, überhaupt die Fähigkeit, ernsthaftes Interesse an einer Person einigermaßen dauerhaft zu heucheln, die ihm letztlich gleichgültig war. Seine Aufmerksamkeit
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