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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer
Autoren: L See
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Stillsitzen bereits begonnen. Ich wurde Vegetarierin und hielt mich von Nahrung fern, die bei uns als warm gilt, zum Beispiel Knoblauch und Wein. Ich beschäftigte mich mit religiösen Sutras, praktizierte Reinigungsrituale und hoffte, die unreinen Seiten des Liebesspiels zu vermeiden. Auch wenn ich mein gesamtes Eheleben entschlossen dagegen gekämpft hatte, dass mein Mann sich eine Konkubine nahm, verspürte ich Mitleid, wenn ich ihn ansah. Er verdiente den Lohn für ein Leben voll harter Arbeit. Ich wartete nicht erst, bis er handelte – vielleicht hätte er es nie getan -, sondern ich übernahm es selbst, nicht nur eine, sondern drei Konkubinen zu suchen und
zu seiner Unterhaltung bei uns aufzunehmen. Indem ich sie selbst auswählte, konnte ich viele der Eifersüchteleien und geringfügigen Streitigkeiten vermeiden, die sich üblicherweise einstellen, wenn hübsche junge Frauen ins Haus kommen. Es machte mir nichts aus, wenn sie Kinder bekamen. Und das Ansehen meines Mannes im Dorf wuchs sogar. Er hatte nicht nur bewiesen, dass er sich die Frauen leisten konnte, sondern auch, dass sein chi stärker war als das jedes anderen Mannes im Landkreis.
    Meine Beziehung zu meinem Mann wurde zu einer tiefen Freundschaft. Er kam häufig ins Frauengemach, um mit mir Tee zu trinken und sich zu unterhalten. Der Trost, den er in der Ruhe des inneren Bereichs fand, vertrieb seine Sorgen über das Chaos, die Instabilität und die Korruption des äußeren Bereichs. Zu dieser Zeit waren wir vielleicht zufriedener als sonst irgendwann in unserem gemeinsamen Leben. Wir hatten einen Garten angepflanzt, der überall um uns herum erblüht war. Alle unsere Söhne hatten geheiratet. Alle ihre Frauen waren fruchtbar gewesen. Unser Haus war erfüllt von dem fröhlichen Lärmen der Enkelkinder. Wir liebten sie, aber es gab ein Kind, das nicht von meinem Blut war und das mich am allermeisten interessierte. Ich wollte dieses Mädchen bei mir haben.
    In einem kleinen Haus in Jintian hatte die Frau des Pachteintreibers ein Mädchen geboren. Ich wollte, dass dieses Kind – Schneeroses Enkelin – die Frau meines ältesten Enkels wurde. Mit sechs Jahren kann man durchaus schon eine förmliche Verlobung schließen, wenn beide Familien den Bund für ein hochgeschätztes Paar besiegeln wollen, wenn die Familie des Bräutigams bereit ist, mit der Übersendung der Brautgeschenke zu beginnen, und wenn die Familie der Braut so arm ist, dass sie diese Geschenke brauchen. Meiner Meinung nach erfüllten wir diese Voraussetzungen, und mein Mann – dem ich in zweiunddreißig
Jahren Ehe nie Schande bereitet hatte – war so großzügig, mir diese Bitte zu gewähren.
    Kurz bevor dem Mädchen die Füße gebunden werden sollten, schickte ich nach Ehrenwerter Frau Wang. Die alte Frau wurde von zwei großfüßigen Mädchen in den Hauptraum begleitet, was mir verriet, dass sie genügend Geld auf die Seite gelegt hatte, um gut zu leben, auch wenn andere Heiratsvermittlerinnen nun mehr zu tun hatten. Doch die Zeit hatte es nicht gut mit Frau Wang gemeint. Ihr Gesicht war voller Runzeln. Ihre blinden Augen waren weiß. Zähne hatte sie gar keine mehr. Haare nur noch wenige. Ihr ganzer Körper war geschrumpft, und sie ging gebeugt. Sie war so schwach und krumm, dass sie kaum noch auf ihren Lilienfüßen laufen konnte. Damals wurde mir bewusst, dass ich so lange nicht leben wollte, doch es sollte anders kommen.
    Ich bot ihr Tee und Süßigkeiten an. Wir plauderten über Nichtigkeiten. Ich glaubte, sie erinnerte sich nicht, wer ich war. Ich dachte, ich könnte dies zu meinem Vorteil nutzen. Wir schwatzten noch ein wenig, dann kam ich auf das eigentliche Thema zu sprechen.
    »Ich suche nach einer guten Partie für meinen Enkel.«
    »Sollte ich dann nicht mit dem Vater des Jungen sprechen?«, fragte Ehrenwerte Frau Wang.
    »Er ist verreist und bat mich, für ihn die Verhandlungen zu führen.«
    Die alte Frau schloss die Augen, während sie darüber nachdachte. Es kann aber auch sein, dass sie einschlief.
    »Ich höre, in Jintian gibt es ein geeignetes Mädchen«, fuhr ich laut fort. »Es ist die Tochter des Pachteintreibers.«
    Frau Wangs nächste Worte verrieten mir, dass sie sehr wohl wusste, wer ich war.
    »Warum wollt Ihr das Mädchen nicht als kleine Schwiegertochter ins Haus bringen?«, fragte sie. »Eure Schwelle ist sehr
hoch. Ich bin mir sicher, Euer Sohn und Eure Schwiegertochter wären damit mehr als zufrieden.«
    In Wirklichkeit waren sie alles andere als
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