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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer
Autoren: L See
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Lebensgeschichte. Aber eins will ich noch sagen: Er gab mir Tag um Tag einen Grund weiterzumachen. Ich musste dafür sorgen, dass er jeden Tag seine Mahlzeiten bekam. Ich musste mir kluge Dinge überlegen, um ihn zu unterhalten. Nach seinem Tod aß ich immer weniger. Es war mir egal, ob ich den Frauen im Landkreis noch ein Vorbild war. Tage gingen über in Wochen. Ich vergaß die Zeit. Ich nahm den Kreislauf der Jahreszeiten nicht mehr wahr. Jahre verloren sich in Jahrzehnten.
    Das Problem eines langen Lebens ist, dass zu viele Leute vor einem dahinscheiden. Ich habe fast alle überlebt – meine Eltern, meine Tante und meinen Onkel, meine Geschwister, Ehrenwerte Frau Wang, meinen Mann, meine Tochter, zwei meiner Söhne, alle meine Schwiegertöchter und sogar Yonggang. Mein ältester Sohn wurde ein gongsheng und dann ein jinshi . Der Kaiser
höchstpersönlich las seinen achtgliedrigen Aufsatz. Als kaiserlicher Beamter ist mein Sohn die meiste Zeit weg, aber er hat die Stellung der Familie Lu auf Generationen hinaus gesichert. Er erweist mir Respekt, und ich weiß, er wird seine Pflichten nie vergessen. Er hat sogar einen Sarg gekauft – einen großen, lackierten -, in dem ich nach meinem Tod ruhen kann. Sein Name steht mit dem seines Großonkels Lu und dem von Schneeroses Urgroßvater in stolzen Männerzeichen im Ahnentempel von Tongkou. Diese drei Namen werden dort stehen, bis das Gebäude zerfällt.
    Päonie ist jetzt siebenunddreißig, sechs Jahre älter, als ich es war, als ich zur Dame Lu wurde. Als Frau meines ältesten Enkels wird sie nach meinem Tod die neue Dame Lu. Sie hat zwei Söhne und drei Töchter, und vielleicht bekommt sie noch mehr Kinder. Ihr ältester Sohn brachte ein Mädchen aus einem anderen Dorf ins Haus. Sie bekam vor kurzem Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen. In ihren Gesichtern sehe ich Schneerose, aber ich sehe auch mich selbst. Als Mädchen bekommen wir gesagt, dass wir wertlose Äste sind, denn wir führen unsere Familiennamen nicht fort, sondern nur die Namen der Familien, in die wir einheiraten, vorausgesetzt wir haben das Glück, Söhne zu bekommen. Dadurch gehört eine Frau für immer der Familie ihres Mannes an, ob sie lebt oder schon tot ist. All dies ist richtig, und dennoch rührt heute meine Zufriedenheit von dem Wissen, dass Schneeroses und mein Blut bald das Haus Lu regieren.
    Ich habe immer der alten Redensart geglaubt, die warnt: »Eine Frau ohne Wissen ist besser als eine Frau mit Bildung.« Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, die Ohren vor dem zu verschließen, was im äußeren Bereich geschieht, und es war nie mein Bestreben, die Männerschrift zu erlernen. Doch ich lernte etwas über die Frauen, über ihre Geschichten, und ich lernte Nushu. Als ich vor Jahren in Jintian Päonie und ihren
Schwurschwestern die Striche beibrachte, aus denen unser geheimer Code besteht, baten mich viele Frauen, ihre Lebensgeschichte für sie niederzuschreiben. Ich konnte nicht Nein sagen. Ich verlangte natürlich eine Gebühr dafür – drei Eier und eine Käsch-Münze. Ich brauchte weder die Eier noch das Geld, aber ich war die Dame Lu, und sie mussten meine Stellung respektieren. Doch es hatte noch einen anderen Zweck. Sie sollten ihrem Leben, das in den meisten Fällen sehr trist gewesen war, einen Wert beimessen. Sie stammten aus armen und undankbaren Familien, die sie schon in jungen Jahren verheirateten. Sie litten unter der Trennung von ihren Eltern, dem Verlust von Kindern und der unwürdigen Stellung als niedrigstes Familienmitglied im Haus ihrer Schwiegereltern, und viel zu viele wurden von ihren Männern geschlagen. Ich weiß viel über Frauen und ihre Not, aber ich weiß immer noch fast nichts über Männer. Wenn ein Mann seine Frau bei der Hochzeit nicht achtet, weshalb sollte er sie danach schätzen lernen? Wenn seine Frau in seinen Augen nichts Besseres ist als ein Huhn, das einen endlosen Vorrat an Eiern legt, oder ein Wasserbüffel, der eine endlos schwere Last auf den Schultern tragen kann, weshalb sollte er sie höher schätzen als diese Tiere? Sie hat für ihn vielleicht sogar noch einen geringeren Wert, da sie nicht so tapfer, stark oder geduldig ist oder sich nicht selbst ihre Nahrung suchen kann.
    Nachdem ich so viele Geschichten gehört hatte, dachte ich an meine eigene. Vierzig Jahre lang hat die Vergangenheit nur Reue in mir ausgelöst. Nur ein Mensch hat mir je wirklich etwas bedeutet, aber ich habe diese Frau schlechter behandelt als der schlimmste
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