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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
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kommt noch, wissen Sie, dazu, daß Linda zuweilen an Phobie leidet, an Kinderschreck, sagt der Arzt . . . Sie schmunzeln, Herr Doktor, aber auch schlafwandeln tut das Kind . . . Phantasie hat sie Ihnen enorm . . .« Ihre Augen irren im Zimmer umher. »No, das schaut aber noch aus hier . . . Die Afra holt Ihnen einen Dienstmann . . . ich wer's ihr sag'n . . . Aber ich will nicht vorgreifen, vielleicht hab'n Sie das schon besprochen mit ihr . . .?« Sie sieht mich blank fragend an. Ich bin überzeugt, sie hat vorhin an der Tür geklebt, und ihre Abgebrühtheit setzt mich in Erstaunen. Ich schweige gespannt; ich bin neutral.
    Sie hat sich zu ihrem Thema herangewurmt. »Wenn Sie etwas wünschen, Herr Doktor, sag'n Sie's lieber schon gleich mir selbst; die Afra is auch halt nicht mehr die Jüngste, fabulierlustig und ein bisserl blöd, wie sie halt wer'n mit siebzig . . .« Sie gibt drei mokante Pusterchen aus ihren ziegelroten Nüstern von sich. »Abergläubisch ist sie Ihnen und ein wenig schreckhaft, da muß ich sie halt zusammenstauchen von Zeit zu Zeit, dann steht sie wieder stramm . . . Ich hab' sie so mehr aus Mitleid bei mir, das alte Mensch; die Inflation ist an ihrem Tiefsinn schuld . . . aber schmeiß'n Sie sie nur raus, wann sie Ihnen zuviel wird . . .« Dies kommt stockend, in singend-anheimstellendem Tonfall, hervor. Dabei wandern die schwarzen Augen unablässig. »Bücher, Barmherziger, Bücher . . . Gelt, ich leih' mir was aus . . .« Plötzlich lüstern: »Hab'n Sie beiläufig was . . . Okkultes?«
    »Auch das, gnädige Frau.«
    »Scharmant, bitt' Sie, scharmant . . .« – Pause. – Dann wie nebenbei: »Sie hat Ihnen gewiß erzählt, daß ich Jüdin bin?«
    Ich verschlucke mich und kämpfe mit einem Hustenanfall. »Das brauche ich mir von niemandem erzählen zu lassen, gnädige Frau. – Zudem bin ich absolut vorurteilslos.«
    »Mit Ihr'm Köpferl, Ihr'm blonden . . .« (Uch nein, protestiert mein Magennerv!) »Ist ja wahr, Sie schau'n nicht aus wie ein Feuerfresser . . . Lieb schaun Sie aus . . . und ein feingebildeter Mann sind Sie auch . . . Natürlich bin ich mosaisch, erzmosaisch . . .« Hier kommt Haltung in sie. Es ist erstaunlich: das Molluskenhafte ihres Wesens strafft sich; sie wird Mrs. Siddons; die kommende Eröffnung steift diese quellende Masse empor wie gerinnender Gips . . . »Wissen Sie, daß man bei mir zu Haus in Bukarest noch Portugiesisch redet, noch die Sprache des Camôes? Wissen Sie, daß ich vom Stamme der reinrassigen Sephardim bin? Uralter Adel, ich bitt' Sie! hätt' sonst mein Mann die hunderttausend Porträts gemacht von mir? Wissen Sie, daß der Mann sich Ihnen nachmittagelang hier hineingehockt hat ins Nordlicht und mein Profil studiert und meine Händ' und meine Füß' mit Schuhnummer 34?! – Pamela, stell' dich einmal so hin, sagt er, daß ich das erwischen kann, und das . . . In der Nationalgalerie, da häng' ich dutzendweis'! Gelt, da staunen Sie . . . so ein Buchgelehrter . . . Durch und durch kannte mich der Mann, und deshalb lebt er noch . . .«
    ›Toll‹, so geht meine wirrwerdende Überlegung. ›Jetzt erscheint der Gemahl wieder am Horizont. – Was tu' ich nur, um's Himmels willen . . .‹ Laut sage ich: »Ja, es muß ihm schwer geworden sein, zu scheiden.«
    »Schwer ist kein Ausdruck«, erwiderte die tragische Maske. »Offne Wundflächen werden das, wenn so verschweißte Seelen auseinanderreißen . . .« Das Keuchen der Macbeth spielt wie schwüler Wind über die Bühne. – Und während ich noch schier betäubt verharre, von ihrer aggressiven Geste vor den Kopf geschlagen, ich armes Publikum, wechselt die Tonart ins Scherzo hinüber. Gurrend beginnt sie zu verhandeln. Der Mietpreis (in Devisen, ich bitte Sie!) – die Sicherstellung für Abnutzung der Möbel, Garantien, Trinkgelderfragen, und »wenn Damen heraufkommen, nur Qualität, und nur unter Tags«, Kündigungsfrist und das ganze öde Tausenderlei . . . Sie beherrscht die Materie, das muß man ihr lassen. Wochen voll intensiver Überlegung müssen vorangegangen sein. Bis auf Heller und Pfennig – bis auf Naturkatastrophen und Putsche – Gott in Ehren, stellt sie sich sicher. Wer kann die Mauer einrennen, die sie um sich baut! Und das Resultat ist schließlich meine ächzende Zustimmung und schweißtriefende Mithilfe bei der Zangengeburt eines Kontraktes, der mich mit Haut und Haaren in ihre Hände liefert. Wer kann auch
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