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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
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schon deine Anpreiserei, und wenn die Leute scharf wer'n und was sehn woll'n, sperrst du mich hier ein oder schiebst mich ab in die Kunstakademie . . . Ich möcht' anmal an anständigen Akt sehn. In der Akademie ham s' bloß so an dreckigen Lausbub'n. Eine Künstlerin möchtest machen aus mir, und psychopathisch bin ich auch, und da darf ich nix, aber auch gar nix . . .«
    »Du bist halt zu jung. Wenn er's nicht spannt, darfst schon anmal spitz'n, wenn er sich wascht oder so . . . Aber sonst hast mich als Modell, merk' dir das. Und für die Mannsbilder: zu was hast denn nachher den Parthenonfries in dem teuren Kunstbuch da, und die Vasenbilder?«
    »Herrschaft ja, Mutter, aber schau: Du bist halt doch bisserl reif schon?! – Weißt, die Linie . . .«
    »Linie?! – Aber ich bütte! – Dein Papa war ganz narrisch drauf! Und war der kein Künstler; ich bütte!?«
    »Ja no . . . damals . . . du bist halt ein wenig dick wor'n; du hockst zuviel zu Haus . . . und mich laßt' mithocken . . .«
    Pause. – Die Entrüstung verschlägt Frau Bibescu anscheinend den Atem. Endlich kommt ihr die Stimme zurück.
    »Ihr seid's grausam, ihr Kinder. Hast ja recht. Immerhin: meine Fesseln . . . schau her.«
    »Ja, die gehn«, spricht die Tochter anerkennend.
    »Und das da . . . und so . . .«
    »No ja. –« Die Tochter kichert. »Aber ich kann doch nicht ewig immer dasselbe abmal'n. Mit an Zirkelmaß ging's schneller. Und mit den Porträts von dir hab' ich's auch dick jetzt . . .« Abgrundtief seufzend: »Ich möcht' anmal – was anders mal'n!!«
    »Nachher stellst dich selbst vor'n Spiegel hin.«
    »Aber das geht doch nicht. – Man malt dann daneben.«
    »Rembrandt hat sich auch selbst hergenommen, wenn er kein entspröchendes Modell zur Hand g'habt hat . . .«
    »Und was hat er gemalen? – Immer nur sein' alten Schnauzbart. Mit Barett und Helm . . .«
    »Du mußt deine Bewegung erwischen. – Schau her, so!« – Das Parkett knarrt leise. Offenbar hat Frau Bibescu das Bett verlassen. Eine Weile entsteht Schweigen während dieser Pantomime. Ein leises, triumphierendes, von leichtem Asthma behindertes Zischeln: »Schau, das hat dein Papa auch so gern g'habt. In diesem Augenblick hat er mir zugeschaut; ich fühl's. Bisserl Schwung hat deine Mutter noch, wie? – Fünfzig Jahr', ich bitt' dich! – Noch ganz elastisch, wie, für eine alte Frau? – Das kopierst einfach vor'm Spiegel, mein Kind; und nachher fängst das Bild aus'm Gedächtnis ein und malst es hin mit dem Bleistift. Wenn man so eine Figur hat . . . Und ein bisserl Ridmus . . .«
    Offenbar versuchte es nun auch die Tochter. – Das Schweigen wird dann unterbrochen durch ihren prustenden Ausruf:
    »Meinst wirklich, Mutter . . . so geht's?«
    »Wart', ich hol' dir die Tunika . . .«
    Eine Erschütterung des Bodens: Frau Bibescu bewegt sich auf die Wand zu, an der ich lausche. Dann höre ich einen leichten Aufschrei, so aus der Nähe mir ins Gesicht, daß ich zurückpralle: »Jessas!! – die Tür ist offen.« Es raschelt kurz hinter der Tapetentür; dann schnappt drinnen eine zweite Klinke ein, und jedes Geräusch von drüben wird erstickt wie mit Watte. Die Garderobe der Damen, entdeckte ich somit, ist in die Wand eingebaut; steht sie nach innen offen, dann hört man alles. Ob sie heute nacht durch Zufall offen stand, wage ich nicht zu entscheiden. – Ich habe das starke Bedürfnis nach einem Schnaps. Drüben geht das Gespräch als ganz entferntes, kaum hörbares Murmeln weiter, dann versinkt es in die sausende Stille, die ein herzhafter Schluck Martell in meinem Kopf erzeugt. Eine Lässigkeit ergreift Besitz von mir. Durch den Hintergrund dieser zerrinnenden Empfindung spukt es von blassen Gliedern, von nackten, schwellenden Hüften, von östlicher Buntheit und großer Verachtung für Zeit. Denn wo ist da noch ein Zeitbegriff, wenn man sich mitten in der Nacht, in rabenschwarzer Stille, tuschelnd und kindlich-lüstern unterhält mit Gesprächsbrocken, die gewöhnlich nur mittags gedeihn? Mit Vorstellungsfetzen, die gemeinhin nur dann plastisch werden, wenn grelle Sonne ihr Flammengitter, durch Jalousien hindurch, auf seidene Kissen zeichnet?
IV
Ich erwache ein wenig verdutzt. Ein großes Schnurren, Rumoren und Poltern geschieht kaum drei Meter unter mir. Das ist das zwanzigste Jahrhundert mit seinem scheußlich grellen Menschenaufwasch und seinen vier- bis vierzehnpferdigen Motorrädern, die unten auf der Straße, gerade unter der
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