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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
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knipst man sie abends an, so geben sie ein transparentes Licht, das jede Ecke des Gemaches gleichmäßig mit trübem Gold bestreut. Es ist, als habe Herr Bibescu den gesamten Hausrat eines Kasinos aufgekauft aus den Zeiten, da die Queen seufzend in ihren Pompadour greifen mußte, um die ersten Eskapaden ihres Sohnes zu begleichen. Trotz ihres vierzigjährigen Aussehens herbergen die Möbel jedoch jene Bequemlichkeit, die dem Briten von jeher eignete. Ein Teetisch auf silbernen Rädchen steht kokett innerhalb fünf kranzartig gruppierter, fetter Klubsessel. Sie sind mit gelbem Samt überzogen und abgeschabt; immerhin federn sie noch mächtig; beansprucht, schnaufen und quietschen sie wie eine entschlummerte Tafelrunde beleibter Greise. An der mit zitronenfarbiger Tapete bezogenen endlosen Wand brüstet sich, gleich einem spendierfreudigen Gastgeber – (diskret zurückgerutscht, doch nicht minder mächtig) – das Sofa. Es allein schon ist ein Hohn auf die Wohnungsnot, bietet es doch einer ganzen Familie Platz, sich ungeniert darauf fortzupflanzen oder in Frieden zu sterben. An den drei Fenstern hängen dieselben Damaststores wie nebenan. In der Ecke, nächst der Tür, steht ein zylindrischer weißer Biedermeierofen, mit Messingreifen geschmückt. Damit ist die Aufzählung erschöpft; das ist das »möblierte Zimmer«. – Was mir sonst noch fehlt – (und das ist so ziemlich das Wesentliche) – habe ich selber zu beschaffen. Ich besitze Mobiliar für drei normale Zimmer, Gottseidank. Aber schon jetzt fühle ich: dieser unverschämte Saal wird es schlucken und kaltstellen, zur Bagatelle verdammen.
    Das Schlafzimmer enthält Bett und Waschkommode. Für einen Kleiderschrank ist kein Platz. Bei Dunkelheit ist es Turnerei und Eiertanz, ins Bett zu finden. Aber mit den zwölf Glühbirnchen hat man die Direktive, wenn man auch in der verschwenderischen Lichterpracht unwillkürlich auf Lakaien rechnet, denen man Unterhosen und Strümpfe zuwerfen könnte . . . Die Lakaien bleiben aus . . .
    In der ersten Nacht kann ich nicht einschlafen und stehe im Saal. Da liegt nun mein Hausrat, Füllsel eines großen Möbelwagens, auf dem spiegelblanken Parkett. Noch ist es eine einzige Wirrnis: aus einer Barrikade vertrauter Schränke, Truhen, Kommoden wächst ein Berg von Büchern, einem erstarrten Erdrutsch ähnelnd. Die fünf beleibten Sessel, provisorisch weggeräumt, stehen an die Wand gedrückt in gerader Reihe. Dort mokieren sie sich, das ist klar; bilden eine Abwehrphalanx gegen das eingedrungene Neue – aber ihr werdet euch schon vertragen und einen Kompromiß eingehen! Die erste Brücke zwischen euch baut der Lüster . . .
    Ja, der Lüster! – Da hängt dieser protzige Lichterberg, – doch nicht in einer Theaterkuppel über Hunderten von Köpfen. Nein: er hängt nur über dem Gedächtnis von Puderzöpfen, Perücken, Haarbeuteln und Scheiteln, die sich seit hundertdreiundzwanzig Jahren unter ihm geregt; diese geistern noch durch den knapp zwei Meter tiefen Luftzwischenraum, der ihn vom Parkett trennt. Dieses gibt den Glanz als verschwommenen Schimmer zurück.
    Die Damaststores sind vorgezogen, es ist tiefste Nacht, jener kälteste Moment des Lebens zwischen halb drei und halb vier; ich stehe unter meinen Büchern; tot blinken die Deckel, hieroglyphenhaft die wohlbekannten Titel. Intimstes steht oder liegt da, nackt und vereinsamt unter der Bestrahlung. Zuweilen webt ein Knistern durch den Raum: die aufeinander geschachtelten Bücherbretter zirpen einander die Frage zu: »Ist dies endlich die letzte Station?« – Ich wandle in Pumps umher; das Geräusch meines zagen Schleichens hallt marschschrittmäßig von den Wänden wider. Endlich begreife ich's: die Uhr muß hervor, muß strammstehen; Dienst tun. Sie muß die hundertunddreiundzwanzig Jahre fortspinnen, emsig verlängern; sonst stagniert hier alles, und ich sinke samt all diesen Gegenständen in die Zeit zurück wie in Triebsand.
    Ich zerre das Möbel unter den anderen hervor. Es ist eine schmucklose Standuhr aus Birkenmaser; sie hat eine tiefe Gongstimme, wie ein Familienarzt. Den Teufel: als ich sie in die Ecke gepflanzt, Pendel und Gewichte eingehängt habe und nun den Schlüssel einsetze, schnurrt sie bockig und haucht mit widerlichem Gerassel ihren Geist aus. Keine Gongstimme spricht mir melodische Beruhigung zu und mahnt mich sanft an mein allmähliches Verbröckeln, sondern mit hemmungslos umherwirbelnden Zeigern krepiert sie mir vor der Nase, als habe
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