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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
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Dies alles ist so dunkel, daß ich mich aufs Warten verlege. Vielleicht – (und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren) – zielt das tolle Garn, das sie spinnt, doch auf mich; vielleicht will sie Eindruck machen. ›Bin ich nicht begehrenswert, wenn man sich noch im Jenseits darüber aufregt, daß ich einen platonischen Ersatz mir suche für das verschollene Handfeste? Blassen Ersatz für feurig Legitimes? Ich soll Linda die Tafel wegnehmen, soll mich der Brücke berauben?‹ – So ähnlich, fühle ich, läuft ihr Gedankengang. – Auf einmal beugt sie sich wieder vor und sagt verschmitzt lächelnd wie ein ungezogenes Kind: »Sie haben ja recht, Herr Doktor. – Strafe muß sein, und ab und zu krieg' ich auch einen Zorn und laß ihn einen ganzen Tag nicht heran an die Tafel. Wenn er ganz besonders deutlich gewesen ist. Dann hat er zwei Tage Zeit, sich sein Benehmen zu überlegen. Was er dann schreibt, ist eitel Sirup und Zucker. Bonbons krieg' ich zu lutschen und entschuldigen tut er sich ellenlang, so daß die Tafel nicht ausreicht und Linda von vorn wieder anfangen muß zu wischen, das gute Kind, das geduldige. Aber eigentlich überläuft's mich –« (sie seufzt pfeifend und der Schillersamt schlägt Wellen) – »wenn er recht tobt. Eifersucht beweist Liebe. Allzuviel Schmeichelei geht mir auch auf die Nerven. Deshalb verzeih' ich ihm schnell, nur damit er wieder – keck wird und Temperament zeigt. Davon leb' ich.«
    »Wie lange schon, gnädige Frau? – Ich meine, wie lange ist es her, daß . . . ehem . . .«
    »Daß er in den anderen Zustand eingetreten ist? – Sechs Jahr', Herr Doktor; aber so springlebendig ist Ihnen der Mann, daß er sich ungeschwächt weiter manifestiert . . . ›Du brauchst mich, Pamela‹ (so heiß' ich nämlich) – ›als Witwentrost‹ ruft er . . . Wissen S', ich bin nämlich unpraktisch veranlagt, weil meine Stärke die Empfindung ist und weniger das Rechnen; und so gibt er mir Tips. Mein Freund, der Baron Meerveldt – (ach du Gütiger, jetz' ist mir der Name doch ausgekommen; aber Sie sind ja düskret, Herr Doktor, mit Ihrem Dichterköpfchen, Ihrem feing'schnittnen) – also der Baron sagt mir zwar oft, die Tips vom Seligen taugen nichts; ist aber halt schon nah an Siebzig! So halt' ich mich zum goldenen Mittelweg und nehm' vom Baron ein bisserl und vom Seligen ein bisserl und richt' mich halt ein mit dem Gerstel und mit der Wohnung, die was mein Kapital ist . . . Auch Lindas wegen muß ich das schon, das Kind darf nichts entbehren . . . Nicht schlecht geschimpft hat mein Seliger, daß ich mir Mieter nehmen muß. Fallt ihm doch der Baron schon schwer, der hinten am Gang haust. ›Nimm dir eine alte reiche Frau hinein,‹ hat er gerufen, ›die was sich zurückziehen will von der Welt und pünktlich zahlt.‹ Ich wer' doch kein Kloster machen aus meiner Klause. ›Nein‹, hab' ich trotzig geschrieben, und Linda hat's dreimal dick unterstrichen. O mein Gott, was war da der Mann bös'. Eine ganze Woche hat die Verstimmung gedauert. Aber beruhigen Sie sich, Herr Doktor.« Sie lächelt mich schmelzend an und legt mir, weiß Gott, die mollig-schlanken, von bunten synthetischen Steinen beladenen Finger auf das zuckende Knie. »Sein S' nur ganz ruhig. – Sie kriegen die Zimmer. Sie schon! – Ich steh' Ihnen gut dafür!!«
    Hier endet das erstaunliche Gespräch, denn ich finde es an der Zeit, mich umzusehen, wo und wie ich mich einzurichten habe.
III
Die mir zugedachten Räume liegen neben dem geschilderten Empfangssalon. Sie bestehen aus einem schlauchartigen Saal mit zwei Straßenfenstern. Vorn ist er bei Sonnenschein also mäßig hell und hinten, am Korridoreingang, mystisch dunkel. Ist trübes Wetter, so versagt der Reflex der südlich liegenden konvexen Scheibenquadrate des erzbischöflichen Palais, und der ganze Schlauch liegt in fröstelndem Kellerlicht. Das Schlafzimmer ist eine lächerliche Kammer, ein Anhang nur, gänzlich verbaut: ein abgestumpftes Dreieck. Die dicke Mauer läßt es trotz des hohen französischen Fensters wie eine Gefängniszelle wirken. Immerhin herrscht in diesen Räumen eine versunkene, entrückte Pracht, beispiellos taub gegen unsere schnellebige Zeit.
    In beiden Räumen hängen Kronleuchter aus reifenförmig gereihtem Tropfglas, das oben und unten durch facettierte Kugeln abgelöst wird. Sie hängen als massive, funkelnde Drohungen über meinem Schädel, wenn ich mich darunterstelle. Sie sind verstaubt und voll Fliegendreck;
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