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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
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dieser öligen Suada und diesem Geschütz von »Wenns« und »Abers« unbeschadet widerstehen! – Eine volle Stunde raufen wir uns herum. Dann klopft es massiv. Der Dienstmann Zacherl erscheint.
V
Nun habe ich mich endlich eingerichtet.
    Die Uhr ist repariert und teilt mir aus der Ecke mit sonorer Altstimme, auch ungefragt, die Zeit mit. Sie sagt es vorsichtig, um niemanden zu verletzen. Denn jünger wird man nicht. – Und die Zeit rauscht . . .
    Ich habe nun die ganze Etage erforscht und weiß, woran ich bin. Nie noch gab es in Mitteleuropa ein Gelaß gleich diesem. Vorn zwei Säle, was sage ich: Hallen! – Diesen beigeordnet meine Schlafzelle und das durch die Garderobe zwischen Tapetentüren davon abgetrennte Schlaf-, Wohn- und Spintisiergemach dieser erstaunlichen Frauen . . . Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, einen Blick hineinzuwerfen, ebensowenig wie mir der Anblick Lindas, des begabten Wesens, annoch zuteil geworden ist. Man hört sie wohl, im Gang, im Treppenflur; man hört eine quäkende, blutarme Stimme, die imstande ist, sich durch die meterdicken Wände hindurchzuschrauben . . . einen Korkzieher von einer Stimme, der vom Rost der Alltäglichkeit knarzt. – Einmal bin ich auch draußen auf der Wendeltreppe fast über einen Kobold gestolpert. Er hat sich, leise zischend, verflüchtigt. Das kann sie unmöglich gewesen sein.
    Ich hege allerhand romantische Ideen in bezug auf Linda. Eine sechzehnjährige Ausgabe der Mutter: à la bonheur! Da muß etwas daran sein! Orientalisch, was denn, und rassig-grazil! Eine eifersüchtig verborgengehaltene Perle! Rehschlank; massiv, wo es sich gehört; von allen Rüchlein Arabiens umwittert! No! – – Vom Stamm der Sephardim ein Reis, Jasminblüte aus Bukarest!
    Was sagt mir die Stimme! Was bedeutet schon der Klang einer Stimme! Sie ist halt erkältet, sagt mir mein Herz, und auch von Kummer bedrückt. Suggestiv und hysterisch; was bei andern ihres Alters normale Backfischlaunen sind, wächst bei ihr ins Extrem. Ein Medium, mit geheimnisvollen Kräften begabt, eine vibrierende Nervenbrücke zur andern Welt! Welche Sensation! Ein Instrument für eine geisterhafte Energie, um darauf zu spielen; eine bebende Klaviatur für den heißgeliebten Vater, der nicht rasten will!
    Im allgemeinen denke ich nur beim Kaffee oder abends an Linda. Im Grunde genommen ist meine Neugier weder akut noch aktiv; sie ist eine milde Würze des halben Traumdaseins, das ich führe, und besteht eher aus einer sanften Erwartung. Sie ist verteufelt geschickt darin, sich nie sehn zu lassen. Zweimal habe ich inzwischen versucht, die alte Afra auszuholen. Sie hat auch bereitwillig zur Information angesetzt, war gerade dabei, ihren Sermon abzubeten nach einem vielversprechenden Auftakt von ungefähr folgenden Worten: »D' Linda! – Ja mei! – Wissen S', Herr Dokta, i wui net hez'n; oba doß d' Linda a Luda is, a ganz an ausg'schamts, des derf'n S' g'wiß glaam. – D' Linda . . .« – Weiter kam sie leider nicht, denn jedesmal wurde sie in diesem Moment »dringend« von Frau Bibescu »benötigt« und verschwand murmelnd, mit hölzernen Abwehrbewegungen der zerarbeiteten Hände . . . Das Mysterium vertieft sich und glimmt wie Zunder in mir fort.
    Ich begann dies Kapitel mit einer Schilderung der Wohnung. Stellt man sich in den Korridor, so entdeckt man noch eine Glastür. Sie gehört zu einem Alkoven von etwa zwei Meter im Geviert, der dem großen Empfangssalon, »dem Zimmer Herrn Bibescus«, dem nie benutzten kühl-prächtigen Raum, als Garderobe scheinbar angegliedert war. Jetzt ist das Räumchen Rumpelkammer tollster Art; vollgepfropft mit Möbeln, Matratzen, Bildern; besonders hervorstechend sind halb verwischte Kohleakte, zerknüllt zwischen Mintonporzellan und verdorrten Fächerpalmen . . . Überall winken die schwarzen Augen der Gattin herab; zahllos sind die fetten Schultern und uferlosen Hüften, darüber sie neckisch oder melancholisch schimmern. Herr Bibescu hat viel Kohle zerpulvert, um dies sein Lieblingsthema in allen Variationen der Nachwelt zu erhalten. Welch ein Gedanke, das Original dieser orgienhaften Skizzen lebend – und höchst lebendig! – in nächster Nähe, Tür an Tür, zu wissen! Mir durch nichts vorenthalten als durch dreieinhalb Millimeter schäbigen Schillersamts! – Doch die Entsagung wird mir erleichtert durch die Erwägung, daß auch der beste Jahrgang einmal firn wird . . .
    Vom Korridor aus, nach Süden, geht es ins Ungewisse. Denn
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