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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland
Autoren: Inga Lindström
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vermissen, dafür würde sie schon sorgen. Doch bis sie den nächsten offiziellen Familienbesuch wagen konnte, brauchte sie Zeit. Bestimmt ein halbes Jahr. Sie musste Abstand gewinnen.
    Fjäril kam zum Gatter getrottet, und Linda strich ihm sanft über die Nüstern.
    Dann hörte sie Schritte hinter sich und fuhr herum. Als sie Henrik sah, wurde sie von Panik erfasst. Ein Blick in sein Gesicht reichte für die verspätete Einsicht, dass sie besser doch nicht angehalten hätte. Es war schlimmer, als sie gedacht hatte, und in schonungsloser Selbsterkenntnis begriff sie, dass ein halbes Jahr bei weitem nicht genug wäre.
    Henrik deutete auf den Wallach. »Er wird es dir nie verzeihen, wenn du ihn nochmals allein lässt.«
    »Er hat ja dich.« Sie rang sich ein Lächeln ab und blieb stehen, obwohl sie am liebsten weggerannt wäre. Mit gesenktem Kopf fuhr sie fort: »Als du zum ersten Mal zu uns gekommen bist, hattest du Angst vor Pferden. Ich erinnere mich genau.«
    »Höllische Angst«, pflichtete er ihr bei. »Ihr habt mich alle ausgelacht.«
    »Aber dann hast du dich um Fjäril gekümmert.«
    Er breitete die Hände aus. »Was blieb mir übrig? Du warst nicht da. Und dein Vater war so sauer auf dich, er wollte Fjäril nur loswerden. Gunilla konnte ihn nicht ausstehen. Und mir hat er Leid getan. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass er verkauft wird.« Er lachte leise. »Außerdem — was hättest du gesagt, wenn du zurückgekommen wärst und Fjäril wäre nicht mehr hier gewesen!« Winzige Fältchen sprangen in seinen Augenwinkeln auf, als er sie anlächelte.
    Ohne nachzudenken, beugte sie sich vor, um ihn sanft auf die Lippen zu küssen. »Danke«, hauchte sie, während sie rasch zurückwich.
    Als sie sich abwenden wollte, hielt er sie an beiden Armen fest und zog sie beinahe grob an sich. Verzweiflung stand in seinen Augen. »Geh nicht weg, Linda!«
    Sie riss sich los und lief zum Wagen. Diesmal schaute sie nicht in den Rückspiegel, es tat auch so weh genug.
    Sie fuhr schneller als erlaubt und schaute dabei konzentriert auf die Straße, nur von dem einzigen Gedanken besessen, endlich zur Ruhe zu kommen und alle Verletzungen hinter sich zu lassen.
    Doch vor der Abzweigung nach Göteborg fiel ihr ein, dass es noch jemanden gab, der sehr enttäuscht wäre, wenn sie ohne ein Wort verschwinden würde. Die Werft lag beinahe am Weg, es würde keine großen Umstände machen, wenn sie rasch dort anhielt und sich von Olav verabschiedete. Als sie am Kai vorfuhr, sah sie, dass seine Lieblingsyacht bereits zu Wasser gelassen worden war. Linda spürte ein leises Bedauern, weil sie den Stapellauf verpasst hatte. Olav hatte sich darauf gefreut wie ein kleines Kind, und sie wäre nur zu gern selbst dabei gewesen, um den spannenden Augenblick mitzuerleben.
    Er war an Bord, sie erkannte seine bärenhafte Gestalt und das weiße Haar unter der abgeschabten Wollmütze. Er winkte, als er sie über den Kai näher kommen sah. »Linda! Ich will den Motor testen, kommst du mit?«
    »Tut mir Leid, Olav. Eigentlich bin ich nur hier, um mich zu verabschieden. Ich fahre zurück nach Göteborg.«
    »Ach was!«, tat er ihren Einwand ab. »Für so ein schönes Boot muss man immer Zeit haben!« Einladend deutete er auf das Schiff. »Komm, Mädchen, fahr einfach mit!«
    Zaudernd betrachtete sie die funkelnagelneue Yacht, dann schaute sie Olav an und las die stumme Bitte in seinen Augen. Unfähig zu widerstehen, kletterte sie an Deck.
    Olav startete den Motor, der mit einem satten Geräusch ansprang. Einer der Arbeiter löste das Haltetau , und die Yacht glitt langsam von der Kaimauer weg. Olav steuerte das Schiff auf die Mitte der Hafenausfahrt zu, und sie nahmen rasch Fahrt auf. Das Schiff lag perfekt im Wasser, und Linda lief voller Begeisterung vom Bug zum Heck und wieder zurück und konnte nicht aufhören, alles genau zu begutachten. Am liebsten hätte sie laut gejubelt über dieses makellose Meisterwerk. Olav nahm ihre Bewunderung wohlwollend zur Kenntnis.
    »Linda«, bat er nach einer Weile, »übernimmst du bitte mal das Ruder?«
    Sie gehorchte nur zu gern. Die Yacht flog geradezu übers Wasser, und die roten Fischerhäuschen am Ufer glitten vorbei wie Perlen auf einer endlosen Schnur. »Es ist wirklich ein tolles Boot!«, rief sie, während der Wind ihr das Haar vors Gesicht wirbelte.
    Olav nickte, als hätte sie gerade etwas völlig Selbstverständliches erwähnt. Er setzte sich neben sie auf die Ruderbank und verschränkte die Hände im
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