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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland
Autoren: Inga Lindström
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Schoß. »Linda«, begann er zögernd. »Ich wollte dich mal was fragen. Liegt mir schon lange auf der Seele...«
    Fragend wandte sie sich zu ihm um. Er druckste herum, und seine Miene war ungewöhnlich ernst. »Willst du das alles wirklich Gunilla überlassen?«, platzte er heraus.
    Sie zog die Brauen zusammen. »Wieso denn nicht? Sie wird schon das Richtige machen. Für die Werft. Für...« Sie hielt inne und krampfte beide Hände um das Ruder, bis ihr die Finger wehtaten.
    »Bist du sicher?« Olav beugte sich vor. Sein Blick war eindringlich. »Gunilla liebt die Werft nicht! Sie ist nicht mit dem Herzen bei der Sache! Hast du mal in ihre Augen gesehen?« Er hob die Stimme, um das Geräusch des Motors zu übertönen. »Da ist keine Leidenschaft! Nur eine große Sehnsucht. Die Sehnsucht, wegzugehen.«
    »Aber sie ist zurückgekommen.«
    »Sie wird wieder weggehen«, sagte Olav im Brustton der Überzeugung. »Ihr Platz ist nicht hier.«
    »Aber meiner schon.« Linda hatte es nur so dahingesagt, eher sarkastisch als auch nur ansatzweise ernsthaft, doch ihre eigenen Worte lösten eine Empfindung in ihr aus, die auf merkwürdige Art in ihr nachzuhallen schien.
    »Wo denn sonst«, sagte Olav, und er meinte es völlig ernst, wie sie sofort begriff.
    Linda starrte über den Bugspriet hinweg auf die wirbelnde Wasseroberfläche. Plötzlich kam ihr all das in den Sinn, was ihr Vater und Henrik ihr über das Weglaufen gesagt hatten, und zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie sich jemals ernsthaft für ihre eigenen Interessen eingesetzt hatte. Ob sie überhaupt in der Lage war, sich mit aller Kraft für ihren Platz im Leben einzusetzen, ganz einfach deshalb, weil sie davon überzeugt war, dass er ihr zustand und dass sie ihn verdiente. Ob sie es je fertig bringen würde, um einen Menschen zu kämpfen, den sie wollte und brauchte und nicht aufgeben wollte. Weil er alles Glück der Welt für sie bedeutete und weil ohne ihn alles grau und leer und sinnlos war.
    Ihre Hände am Ruder zitterten, doch in ihrem Inneren fühlte sie plötzlich eine ruhige Entschlossenheit.
    »Lass uns nach Hause fahren, Olav. Ich habe noch etwas zu erledigen.«

    *

    Am äußeren Ende des Landungsstegs stand eine Bank, auf der sie sich vor einer Weile schweigend niedergelassen hatten. Henrik hatte merkwürdigerweise noch nie hier draußen gesessen, obwohl er seit vier Jahren hier wohnte. Er hatte den Steg immer nur dem eigentlichen Zweck entsprechend genutzt, zum Vertäuen des Bootes und um über die Planken trockenen Fußes an Land zu gelangen.
    Es war ein eigentümliches Gefühl, hier draußen zu sitzen, beinahe so, als würde man über dem Wasser schweben, ein Eindruck, der die Unwirklichkeit der ganzen Situation noch verstärkte. Gunilla schwieg immer noch beharrlich, obwohl ihr schon die ganze Zeit unablässig die Tränen über das Gesicht strömten. Ihr Verhalten sagte mehr als alle nur erdenklichen Worte, folglich hatte Henrik es nicht eilig, die Unterhaltung in Gang zu bringen. Es würde besser klappen, wenn er ihr noch ein bisschen Zeit gab, sich zu sammeln.
    Die Wahrheit stand ohnehin greifbar zwischen ihnen, unerbittlich und unabweisbar, so sicher, wie auf den Sommer der Herbst folgte. Vermutlich hatte er es bereits die ganze Zeit gewusst, zumindest aber hatte die Erkenntnis nur einen Hauch weit weg in seinem Unterbewusstsein gewartet. Er hatte gerechnet und in seinen Erinnerungen gekramt, hatte die wenigen infrage kommenden Zusammenkünfte abgeglichen mit ihren monatlichen Unpässlichkeiten und war zu dem Schluss gekommen, dass sie log. Ihre Reaktion vorhin, als er sie um ein weiteres Gespräch gebeten hatte, war nur ein zusätzlicher Beweis, dessen er nicht mehr bedurfte.
    Doch nun saßen sie hier, und irgendwann würden sie reden müssen, wenn sie es mit Anstand hinter sich bringen wollten.
    Henrik seufzte und eröffnete widerwillig das Gespräch. »Weiß John, dass du schwanger bist?«
    »John mag keine Kinder.« Ihre Stimme klang dumpf, doch immerhin hatte sie inzwischen aufgehört zu weinen.
    »Aber er ist der Vater.« Es war eine Feststellung, keine Frage, und sie machte sich nicht die Mühe, es abzustreiten.
    »Warum bist du zurückgekommen?«, fragte er ruhig. »Du liebst ihn doch. Außerdem bist du keine Frau, die solche Entscheidungen trifft, ohne ganz sicher zu sein.«
    »Er wollte nie Kinder«, brach es aus ihr heraus. »Er hat mir von Anfang an gesagt, dass sie in seinem Lebensplan nicht Vorkommen. Ich kann es ihm doch nicht
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