Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Autoren: Fiona Capp
Vom Netzwerk:
kann man ihr Schlimmeres nachsagen als das, was man ihr ohnehin schon angehängt hat?
    »Vielleicht stelle ich Vermutungen an, die gar nicht berechtigt sind«, hebt Gotardo an.
    »Solltest du wegen Mr. Byrne in Sorge sein, gibt es dafür keinen Grund«, sagt Jemma. »Das ist zu Ende.«
    »Und was ist mit uns?«
    Jemma umschließt ihr Glas mit ihren Händen. »Ich kann nicht sagen, was passieren wird.« Doch sie weiß, dass sie jetzt wieder vereint sind, und zwar mehr als sie das je in ihrer Ehe waren, durch den gemeinsamen Schmerz, der eine neue Art der Liebe hervorgebracht hat. Eine Liebe, die bis an ihre Grenzen ausgereizt und als neues Band wiedergeboren wurde, das jenseits der üblichen Bande liegt. Eine dauerhafte Liebe für den Rest ihres Lebens, egal, ob sie zusammenbleiben oder nicht.
    Kurz nach Tagesanbruch wandern sie über eine Nebenstraße zum Friedhof von Wombat Hill – eine in Schwarz gekleidete Frau und ein Mann in einem abgewetzten Ledermantel. Tränen gefrorenen Wassers hängen von den Drahtzäunen, weißer Frost überzieht das Gras. Der Himmel ist rosig und klar. Es verspricht ein Tag ohne Wolken und Wind zu werden.
    Gotardo muss an die Grabschrift denken und überlegt, ob er sie vorwarnen solle. Doch er beschließt, es nicht zu tun. Sie wird diese früh genug selbst sehen.
    Aus den hohen Eukalyptusbäumen beidseits der Straße vereinen sich die Lieder der Glockenvögel, Elstern und Sittiche zum improvisierten Chorgesang. Es sind die Klänge des Erwachens, Sich-Regens und Sich-Erhebens.
    Am nördlichen Rand des Friedhofs lässt Gotardo sich zurückfallen und will Jemma vorangehen lassen, aber plötzlich greift er nach ihrem Arm. »Alle finden sie schrecklich. Die Worte auf dem Grabstein. Alle. Sie dachten, ich sei verrückt geworden.«
    Jemma nickt und geht weiter. Sie starrt auf den kleinen glatten Hügel. So klein. Eine fruchtbare Schwellung im Grasboden. Sie hebt ihren Blick zum Himmel und schluckt den Schrei hinunter, der aus ihrer Brust herausdrängt. Dann kniet sie am Fuß des Hügels nieder und liest die Grabschrift.
    Nicht Regung kennt sie nun, noch Kraft,
    Gesicht nicht, noch Gehör,
    kreist in der Erde Wanderschaft
    mit Fels und Baum und Meer.
    Jetzt steht Gotardo neben ihr. Er vermag den Ausdruck ihres Gesichts nicht zu deuten. »Habe ich es richtig gemacht?«
    »Richtig?« Jemma muss fast lachen. Der Vers ist wie ein Windstoß vom Südpol. Eine eisige Böe, die einen spüren lässt, dass man lebt. Und wie eine solche Böe spendet er keinen Trost. Bestätigt nur die bittere Wahrheit, dass ihr Mädchen eins geworden ist mit der Erde.
    »Es ist das Wahrhaftigste und Traurigste, was ich je gelesen habe.«

Epilog
    In den folgenden drei Jahrzehnten verlief Jemmas Leben in ruhigen Bahnen. Einen Teil der Woche verbrachte sie in Melbourne, den anderen in Wombat Hill, wo sie Gotardo in der Weinkellerei half, soweit es ihr möglich war, und Kunst unterrichtete, um ihr kleines Atelier in der Bourke Street bezahlen zu können, wo sie bis spät in die Nacht malte. Henry kam langsam wieder zu Kräften, und das Band zwischen Jemma und ihm wurde so stark, dass sie ihn als ihren Adoptivsohn ansah. Gotardo hatte akzeptiert, dass sie keine weiteren Kinder bekommen wollte und er Jemma, wollte er mit ihr zusammenbleiben, erlauben musste, ihr Leben auf ihre Weise zu leben. Die Freundschaft zwischen Jemma und Celestina blühte wieder auf, und obwohl es Celestina schwerfiel, Jemmas gewählte Lebensform zu akzeptieren, sammelte sie weiterhin ihre Gemälde und hängte diese in ihrem Tearoom auf.
    Jemmas unkonventionelle Ehe und ihr ständiges Kommen und Gehen in Wombat Hill erweckten Argwohn und sorgten dafür, dass weiterhin über sie geredet wurde – genauso wie über das mysteriöse Verschwinden von Nathaniel Byrne irgendwo nördlich des Lake Eyre, zusammen mit Marcus O’Brien, der sich ihm an die Fersen geheftet hatte. Und so lebte die Legende von Musk und Byrne weiter – eine Weile jedenfalls. Die Geschichte weitete sich einfach aus und gebar viele Erzählstränge, die sich mit der Wahrheit von Lucy Volettas Tod und Marcus O’Briens Obsession und der allgemeinen Verhexung der Öffentlichkeit befassten, dabei jedoch auch die wilden Gerüchte und Mythen verwoben. Wie im Märchen wurden diese Erzählstränge mit den Worten »Man erzählte sich« und »Die Polizei glaubte, …« eingeleitet, um auf diese Weise die Spannung aufrechtzuerhalten und ausreichend Ungewissheit zu streuen, um dem Zweifel Raum zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher