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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Autoren: Fiona Capp
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begriff nicht, warum die Flamme jedes Mal wieder ausging, wenn er die Kerze auf einem der Fässer absetzte. Da Pliny sich über das Ausmaß der Unwissenheit seines Freundes auf diesem Gebiet nicht im Klaren gewesen war, hatte er es versäumt, Gotardo vor dem Kohlensäuregas zu warnen, das in der aufgewühlten Anfangsphase der Fermentation freigesetzt wurde. Wäre es als Wolke wahrnehmbar gewesen, hätte Gotardo das schwere Gas um seinen Körper herumwirbeln sehen können. Ein Glück, dass der Keller so groß war und das Gas noch nicht die Konzentration erreicht hatte, wo alle Luft zum Atmen verbraucht war. Als er Pliny den Vorfall schilderte, schrie dieser entsetzt auf. Er habe einmal einen Mann gekannt, erzählte er, der in seinen Keller ging, um eine Flasche Wein zu holen, und nicht mehr herauskam.
    Gotardo starrt ins Leere und muss an die Geschichte von dem Mann denken, der hinunter in seinen Keller ging, um nicht mehr wiederzukehren, als er es an der Küchentür klopfen hört. Dass Leute vorbeischauen, ist er gewohnt, aber nicht zu so später Stunde. Doch er ist froh über diese Unterbrechung. Es ist Zeit, erneut nach dem Thermometer zu sehen, und er hat sich eine Kanne Tee gekocht, um für die lange Nacht, die vor ihm liegt, wach zu bleiben. Noch als seine Hand nach dem Türgriff greift, ist er in Gedanken ganz woanders und wartet darauf, dass der sein Blut wärmende Tee seine Wirkung entfaltet. Und so wäre ihm fast die Lampe aus der Hand gefallen, als die Tür aufgeht und er eine schwarze Gestalt auf der Schwelle stehen sieht. Als diese ihren Schleier hebt, sehen ihn diese unvergesslichen Augen an.
    Sie sitzen in ihren alten Sesseln am Kamin – seiner mit der Armlehne, ihrer ohne. Sie haben kaum gesprochen, kaum ein Wort gesagt. Gotardo würde ihr gern eine Tasse Tee oder etwas zu essen anbieten, wagt es aber aus Angst, sie könnte verschwinden, nicht, den Raum zu verlassen. Sie hat sich kaum verändert, ist nur ein wenig schmaler im Gesicht und trägt ihr Haar straffer nach hinten gesteckt als früher. Früher! Es sind erst sechs Monate vergangen, seit sie wegging, aber es könnten auch Jahre sein. Oder Jahrhunderte. Wie die Zeit sich hinzog, vor allem nachts. Der Schlaf wollte nicht kommen, und seine Wut war so groß, dass er nur Erleichterung fand, indem er auf die rauen Steinwände einschlug, bis seine Fäuste eine blutige Masse waren.
    Gotardo massiert seine Knöchel und überlegt, ob sie die Narben bemerkt. Als er sie wieder ansieht, streckt sie ihre Hand nach seinem Gesicht aus und streicht mit ihren Fingern leicht über eine Seite seines Barts. Den hatte er schon ganz vergessen. Sechs Monate hat er ihn wachsen lassen. Seit dem Morgen, an dem sie Lucy tot in ihrem Bettchen fanden, hat er sich nicht mehr rasiert. Grau gesprenkelt und ungeschnitten muss er damit alt und halb verwildert aussehen. In seinen Augenwinkeln sind ein paar Runzeln dazugekommen.
    »O Gotardo«, sagt Jemma, die Hände flach auf ihrem Schoß. Sie drückt damit gegen ihre Schenkel, um sich zu beruhigen.
    Er sieht ihr an, dass sie ihn etwas fragen möchte.
    »Hast du es aufbewahrt – das Bettchen? Und ihre Spielsachen?«
    Gotardo nickt mit nassen Augen. Er erhebt sich und führt sie in ihr Schlafzimmer. Das Bettchen steht noch da, am Fuß ihres Ehebettes, wie immer. Auch die Decken liegen darauf. Das kuschelige Lämmchen, das Marina für Lucy gemacht hat, thront auf dem Kissen. Und der Stofffetzen, ohne den sie nicht einschlafen konnte, liegt unter dem kleinen Lamm.
    Mit leisem Stöhnen fasst Jemma an das Bettgitter. Schweigend verharrt sie dort, dann tritt sie zurück und sieht Gotardo an. Die ganze Zeit hat er hier neben dem leeren Bettchen geschlafen. Sie kann nicht begreifen, wie er das gemacht hat. Wie schrecklich die Stille gewesen sein muss. Wie er seine Ohren gespitzt haben muss, um Lucys Atem zu hören, diese schniefenden Tierlaute, die den Raum erfüllten, wenn sie schlief. Wie konnte er schlafen, mit dieser Leere zu seinen Füßen? Sie sieht ihn angewidert an.
    »Warum?«
    »Warum ich es hier habe stehen lassen?« Seine Augen lodern. »Lieber ein leeres Bettchen als gar nichts.« Er musste schon damit klarkommen, allein zu sein, da brauchte er nicht noch sämtliche Spuren des Lebens zu tilgen, die diesen Raum einst erfüllt hatten. Eine ganze Welt, die über Nacht verschwunden war.
    Nicht lange nach Jemmas Verschwinden hatte Gotardo das Seitengitter des Bettchens abgesenkt und sich hineingequetscht. Die Knie ans Kinn
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