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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Autoren: Fiona Capp
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eingehen. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit. Er hat einen kleinen Vorrat an Chloroform und könnte sie damit einschlafen lassen, sie in einen Schlaf versetzen, aus dem sie nicht mehr erwachen werden. Nachdem er sich ein weiteres Glas Rum eingeschenkt hat, grübelt er, was er tun soll.
    Draußen bricht die Sonne durch die dunkle, mit Regen drohende Wolkendecke, und die Kanarienvögel fangen zu singen an, als erwachten sie aus einer Betäubung. Marcus gibt sich ihrer Flötenmusik hin, einer Musik, die ihm im Leben mehr Freude bereitet hat als alles andere, und er weiß, er kann sie nicht töten, aber auch nicht riskieren, sie in ihren Käfigen zu lassen. Sosehr es ihn auch schmerzt, will er sie doch lieber frei und in der großen weiten Welt ihr Glück suchen lassen.
    Als er ihre Schalen mit Wasser und Samenkörnern füllt, flattern sie aufgeregt und wirbeln dabei ihren Sand auf. Er lässt sie essen und trinken, und nachdem das getan ist, öffnet Marcus die Tür eines Käfigs, des ersten von zehn. Er streckt seinen Zeigefinger aus und wartet. Sobald der Vogel draufgehüpft ist, bringt er die Hand ins Freie und beginnt eine Melodie zu pfeifen. Der Vogel hält sein Köpfchen schief und lauscht, und als Marcus aufhört, wiederholt er die Melodie Note für Note. Dann hebt Marcus seine Hand und schüttelt sie sanft. Anfangs klammert sich der Vogel an seinen Finger, doch nach ein paar geflüsterten Ermunterungen steigt er zögernd in die Luft.
    Dies wiederholt O’Brien sieben Mal, bis alle männlichen Vögel ein paar Takte von My Bonnie Lies Over the Ocean gesungen haben. Die Weibchen lässt er einfach auf seinem Finger hocken, streicht ihnen ganz leicht über ihre Köpfchen und schickt sie dann auf ihren Weg.
    Keiner der Vögel fliegt weit weg. Einige von ihnen kann er in den Bäumen seines Gartens sitzen sehen. Während er zusieht, kommt eine Krähe herangerauscht und krächzt so laut, dass einer der Kanarienvögel vom Ast fällt. Die Krähe folgt dem herunterstürzenden Vogel, und sobald dieser aufs Gras aufschlägt, packt sie den winzigen gelben Körper mit ihren Krallen und reißt ihn mit ihrem Schnabel in Stücke. Marcus bleibt nichts anderes übrig, als das Buch zu ergreifen, in dem er gelesen hat. Das Buch landet zwar weitab von seinem Ziel, aber doch noch nah genug, um die Krähe davonflattern zu lassen. Natürlich weiß O’Brien, dass die Krähe zurückkommen wird und es sinnlos ist, Wache zu schieben. Er kann sich jetzt nicht um seine Vögel kümmern. Er kann nicht bleiben. So wenig sie auch auf das Leben in Freiheit vorbereitet sind, sie werden sich allein durchschlagen müssen.
    Marcus geht hinein, lässt sich in einen Sessel fallen und leert die Flasche Rum. Zwischen den einzelnen Schlucken summt er vor sich hin.
    My Bonnie lies over the ocean,
    my Bonnie lies over the sea.
    My Bonnie lies over the ocean –
    oh bring back my Bonnie to me.
    Obwohl sein Rausch ihn apathisch macht, dreht sein Gedankenkarussell sich fieberhaft weiter und nimmt Rache an ihm. Jemma Musk ist noch immer auf der Flucht, aber er ist ihr dicht auf den Fersen. Ein Trupp seiner Polizisten hat sie am Breakneck Gully eingekreist. In einem sensationellen Schusswechsel, der zwei Polizisten verwundet und alle erstaunt zurücklässt, verschwindet sie im Busch. Ihre Flucht sichert ihr eine derartige Anhängerschaft, dass sie einen Massenexodus aus den kleinen und großen Städten auslöst, wie man ihn seit den Anfängen des Goldrausches nicht mehr erlebt hat, da sich Verehrer, Bewunderer und Neugierige, ihren Verlockungen hilflos ausgeliefert wie Marcus, an ihre Fersen heften. Die Zeitungen vergleichen es mit dem Ausbruch einer ansteckenden Krankheit und fordern von der Regierung entsprechende Maßnahmen.
    Wohl wissend, dass sie ihnen immer entkommen wird, entwickelt Marcus O’Brien eine brillante Idee. Es wird kein Preis auf ihren Kopf ausgesetzt, keine Belohnung angeboten. Keine »Gesucht«-Plakate mehr mit ihrem Konterfei an die Wände von Postämtern und Telegrafenmasten geklebt. Dies würde das Feuer nur noch stärker entfachen, das sie bereits entzündet hat, würde die Männer, deren Aufgabe es war, sie zu stellen, nur noch mehr demütigen. Unter O’Briens Führung wird eine neue Strategie ausgearbeitet. Wenn man sie nicht mit konventionellen Mitteln in die Enge treiben kann, dann wird man sie eben im Schweigen begraben, sie in die Unterwelt der Nicht-Existenz verbannen, bis ihr vernarrtes Publikum es müde wird, auf
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